Ein Wiedersehen nach knapp 20 Jahren.
Die innere Stimme wird laut: Du weißt doch, dass mit den Jahren nur die Erinnerung schöner wird. Alles andere verblasst.
Das werden wir sehen, denke ich – währenddessen legt die Fähre butterweich an in Mgarr. Der kleine Hafenort von Gozo schmiegt sich an den Hang, der nach Westen hin zur Steilküste wird. Im Wasser schaukeln bunte Boote, als wollten sie mich begrüßen und auch die Hafenkneipe gibt es noch.
Gozo, die kleinere der beiden Inseln, hat wenig von der barocken Grandezza Vallettas. Es ist eher die stille Schwester.
Alle Wege führen auf Gozo nach Victoria. Die Inselhauptstadt, vor allem die Zitadelle sieht man von fast jedem Punkt aus. Ein imposanter Bau, fast schon ein Ort im Ort, der von einer nicht weniger imposanten Mauer umgeben ist. Praktisch uneinnehmbar. Die Kanone steht trotzdem noch prominent parat, auch wenn heute nur noch Touristen die Zitadelle stürmen. Oder die Pfadfinder der Insel, die sich an diesem Sonntag selbst feiern auf der großen Treppe vor der Kathedrale. So einen Trubel gibt es sonst nur zur Marienprozession. Apropos. Weil die Statue der Heiligen Maria nicht durch die offizielle Pforte passte, hat man diese zugemauert und ein paar Meter weiter ein höheres Tor durch die Mauer gehauen. Der Clou: Von außen wirkt es als sei nichts verändert worden. Sie haben die Vergrößerung mit einer Mauer-Attrappe kaschiert, so dass man es auf den ersten Blick gar nicht bemerkt.
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Panoramablick und handgeschöpfter Schafskäse bei Rikardu in der Zitadelle
Auffallend ist der strahlend saubere Kalkstein, aus dem die Burg besteht. Selbst die engen Gassen wirken wie frisch geputzt. Sind sie auch. Die Zitadelle hat gerade eine Verjüngungskur hinter sich, sechs Jahre lang wurde sie von Grund auf restauriert und ist seit dem Herbst 2016 wieder komplett für Besucher zugänglich.
Vom 360-Grad-Panoramagang auf der Mauer reicht mein Blick bis nach Malta und die beiden Mini-Inseln Comino, die Dächer mit den rot-weißen Kuppeln der Kirchen, über die Terrassenfelder bis zum Meer. Über verwinkelte Pfade steige ich wieder ins Labyrinth der Zitadelle, vorbei an einladenden Lokalen und Boutiquen.
Ich will zu Rikardu, der sein Restaurant schon mehr als 30 Jahre in der Zitadelle betreibt – und berühmt ist für seinen handgemachten Schafskäse. Im Lokal ist es eng, viel Platz lassen die dicken Mauern dem Raum nicht. Also weicht Rikardu nach oben aus, über steile Stufen komme ich in die Küche und über eine Wendeltreppe auf die Dachterrasse. Die ist leider voll. Unten bekomme ich noch einen Platz und überschlage im Geiste, wie oft die Kellnerin am Tag treppauf, treppab unterwegs ist. Respekt.
In der Küche ist Rikardu an diesem Vormittag gerade beim Käsen. Die Milch von seinen mehr als 200 Schafen hat er am Morgen mit Lab versetzt und ein paar Stunden gerinnen lassen. Jetzt kann die puddingartige Konsistenz in kleine Plastikkörbchen gefüllt werden und die Molke abtropfen. Ein paar Mal am Tag müssen die jungen Käse noch gewendet werden, dann sind die kleinen weißen Kunstwerke fertig. Früher trockneten die Mini-Käselaiber auf dem Dachboden. Dann betete er für Nordwind, denn der Scirocco, der von Süden bläst, bringt Feuchtigkeit und Dreck.
Heute reift der Käse in einem speziellen Trockenschrank. Etwa eine Woche, anschließend kommt er mit Gewürzen, getrockneten Tomaten und Olivenöl in ein Weckglas.
Und später als Vorspeise auf die Maltesische Platte mit Tomaten, Kapern, Oliven. Dazu bestelle ich Brot und Chardonnay von der Insel (selbst auf Gozo gibt es etwas Weinbau), gefolgt von Kaninchen (zweite Spezialität von Rikardu) mit Tomatensauce und zum Schluss Halwa, das zuckersüße Mandeldessert. Figurmäßig ein Total-Knock-Out. Trotzdem unerhört gut.
Salz, Käse und Brot – und Haschisch
Und schließlich bin ich heute schon gewandert. Jedenfalls ein bisschen. Im Norden von Gozo liegen nicht nur einige der besten Tauchreviere Maltas, auch über Wasser ist der Ausblick spektakulär.
Im Wied il-Mielah hat das Salzwasser einen tiefen Canon in die Kalkfelsen gefressen und windet sich als aquamarinfarbenes Band durch die Landschaft. Ein Riesenfelsloch an der Mündung macht die Kulisse perfekt. Aber anders als beim Azure Window, habe ich dieses Fenster zum Meer fast für mich allein. Wassertiefe 16 Meter, etwas weiter draußen bis zu 60 Meter.
Der Wanderweg ist nicht markiert, verlaufen kann ich mich dennoch nicht, ich orientiere mich einfach an der Küste. Landeinwärts strecken sich Felder und Olivenhaine einen leichten Hang hinauf, gestützt von Steinterrassen. Am Weg wachsen Kaktusfeigen, wilder Fenchel und Kapernsträucher. Gozo ist die Gemüseabteilung der maltesischen Inseln: Tomaten, Zucchini, Auberginen, Paprika oder Bohnen (für die typische Paste auf’s Brot) bekommen dank vieler Sonnenstunden ein intensiveres Aroma als anderswo. Haschisch sagen die Gozitaner zu diesem Genuss. Wird nur anders geschrieben: Haxix.
Nach dem heißen Sommer ist die Landschaft karg, selbst Anfang November hat es tagsüber noch über 20 Grad. Im Winter dagegen grünt es überall auf Gozo, selten fällt die Temperatur unter zehn Grad Celsius.
Feines Meersalz von Xwejni von Emmanuel
Links tauchen bald die ersten Salzpfannen von Xwejni auf, aus denen würziges Meersalz für die Küche gewonnen wird. Ein uraltes Handwerk, dass auf Gozo nur noch eine Familie betreibt: Emmanuel Cini (Spitzname: Leli) und seine Tochter Josephine Xuereb.
Die Römer sollen während ihrer Zeit auf Gozo die Becken in den Fels gemeißelt haben. Bis heute müssen sie aufwändig gegen die Gezeiten verteidigt, von Hand gepflegt und instand gehalten werden. Das Prinzip, wie das Salz gewonnen wird, ist dasselbe wie vor tausenden Jahren: Die Flut spült Meerwasser in ein großes Vorratsbecken, aus dem die kleineren gespeist werden. Wenn Wind und Wärme optimal zusammenspielen, verdunstet das Wasser in den flachen Becken – das Salz kann geerntet werden.
Das ist natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt. In der Realität sind viele Arbeitsschritte nötig, bis das feine Salz in der Küche landet. Salzbauern sind wahre Wetterexperten, müssen vorausschauend das Wasser in den Becken verteilen. Am meisten fürchtet Cini einen plötzlichen Wetterumschwung. Denn schon ein Schauer kann die Ernte vernichten, da das Wasser verdünnt wird. Regen im maltesischen Sommer ist weniger das Problem, gefährlicher sind Stürme, bei denen hohe Wellen an der Küste brechen und das Wasser unkontrolliert in die Saline schwappt. Emmanuel muss dann Tage oder Wochen warten, bis die Salzkonzentration durch Sonne und Wind wieder entsprechend ansteigt und das Wasser schließlich verdunstet. Dann greift er zu Rechen und Besen und kehrt auf traditionelle Weise das Salz zusammen. In Plastikeimern schleppt er die Ausbeute in eine kleine Felshöhle oberhalb der Straße. Sein Lager. Hier verpackt Emmanuel das Salz in Säcke und liefert es später an Restaurants und Geschäfte auf der Insel. Tochter Josephine verkauft kleine Jutesäckchen mit dem weißen Gold direkt an der Straße.
Als ich ihn um ein Foto bitte, verschwindet er wortlos nach drinnen. Um zwei Schilder zu holen, die er über die Tür pappt: Salt Shop und sein Logo. So viel Ordnung muss sein. Man merkt, dass er nicht zum ersten Mal vor der Kamera posiert und die Aufmerksamkeit anscheinend genießt. Salz ist sein Leben und das seiner Familie. Seit fünf Generationen. Darauf ist er stolz, auch wenn – oder gerade weil – er einer der letzten seiner Art ist auf Gozo.
Über schlaglochgespickten Asphalt kurve ich an die Westküste der Insel. Durch Dörfer mit schmalen Gassen und großzügigen Kathedralen. Vorbei an hellen Fassaden und bunten Balkonen, entlang Trockenmauern und Olivenhainen. Bis zur Hauptattraktion von Gozo: das Blaue Fenster. Ein steil ins Meer abfallender Felsen, der zum Torbogen erodierte.
Nur ein paar Schritte daneben: Fungus Rock. Auf dem Felsbrocken wächst ein Kraut, dem die Johanniter-Ritter im Mittelalter heilende Kräfte zusprachen. Bis heute ist der Zutritt verboten, die Wirkung der angeblichen Wunderpflanze aber nie nachgewiesen worden. Die vom gleichnamigen Craft Beer dagegen schon. Die Gerste für das würzige Bier stammt aus dem Naturschutzgebiet Dwejra rund um den Fungus Rock.
Das Treiben am Felsenfenster (Titelbild) lasse ich nach ein paar Fotos schnell wieder hinter mir. Über Käse und Salz habe ich heute viel gelernt, doch etwas Wichtiges fehlt noch: Brot. In Malta nicht nur Grundnahrungsmittel, sondern eine Wissenschaft für sich. Deren Kern der richtige Ofen ist. Jedenfalls für Geschmackstraditionalisten.
Ftira – ein Mix von Fladenbrot und Pizza
Nancy, Besitzerin von Mekren Bakery in Nadur zeigt mir, warum. Seit 1890 gibt es die Bäckerei und der mit Holz befeuerte Steinofen scheint noch aus der Anfangszeit zu sein. Solche Exemplare werden längst nicht mehr gebaut. Allein Ersatz für eine zersprungene Steinplatte aufzutreiben, fast unmöglich. Nur noch wenige Familien backen auf diese alte Art – zu schwer, zu aufwändig, zu unrentabel.
Ftira, ein Mix aus Fladenbrot und Pizza, ist Nancy’s Spezialität, die sie direkt aus der Backstube heraus verkauft. Da kann es schon mal eng werden, so wie jetzt, als außer mir noch eine Easy-Rider-Staffel Proviant sattelt. Ich beschließe, den Tag mit einer Käse-Kartoffel-Ftira zu besiegeln.
Ein letzter Blick vom Balkon Belvedere über dem Hafen von Mgarr. Die Sonne steht schon tief über dem glitzernden Meer und taucht die Insel in ein warmes, rotes Licht.
Du hast dich nicht verändert, Gozo.
Und das ist gut so.
Anreise & Info
Anreise: Flug mit Air Malta (www.airmalta.com) von Frankfurt. Von Malta mit der Fähre von Cirkewwa nach Gozo. www.gozochannel.com
Übernachten: am besten in alten Landhäusern, in denen man sich selbst versorgt. www.gozofarmhouses.com
Essen & Trinken:
Ta’ Rikardu: 4, Fosos Street (in der Zitadelle), Victoria
Mekren Bakery: Nadur, St. James Street
Weitere Infos: www.urlaubmalta.com und www.visitgozo.com
Meine Reise wurde unterstützt von Malta Tourism Authority. Meine Meinung bleibt wie immer die eigene.
11 Kommentare
Hi Antje,
wir waren auch in der Zitadella von Gozo. Das Essen im Ta’ Rikardu ist echt sehr lecker, wir hatten beide Hausgemachte Ravioli. Die besten die wir bisher aßen.
Die besagten Tauchplätze rund um Gozo gehören tatsächlch zu den schönsten im Ganzen Mittelmeer. Besonders bekannt ist das Blue Hole. Das ist ein, von Fels umgebener Naturpool direkt neben dem ehemaligen Azur Window in Dwerja. Für jeden Taucher zu empfehlen.
Leider haben wir es nicht zu den Salzpfannen von Xwejni geschafft. Aber das steht schon auf unserer Liste für unsren nächsten Aufenthalt auf dieser schönen Insel.
Liebe Grüße Andre
Hach, wenn ich daran denke, würde ich am liebsten gleich wieder hinfahren. Schade nur, dass das Azur Window nicht mehr da ist. Aber einen Vorteil hat es: es wird wieder ein wenig ruhiger dort.
Danke Dir, Antje! Auf Malta soll der Verkehr ja recht chaotisch sein, so hört man. Ist auf Gozo weniger los? Linksverkehr schreckt uns nicht – undurchsichtige Verkehrsregeln schon eher 😉
Nur in Valletta ist es manchmal ein bisschen unübersichtlich, mit Navi aber kein Problem. Und auf Gozo ist sehr wenig Verkehr.
Hurra, noch dreieinhalb Wochen! Danke für den schönen Bericht, wird gleich ausgedruckt für meine Silvesterreise 🙂 Noch eine Frage: Weißt Du, ob man auch auf Gozo gut mit Bussen unterwegs sein kann? Auf Malta soll das ja problemlos möglich sein.
In Malta ist das Busnetz sehr gut ausgebaut, du kommst von Valletta aus problemlos überall hin (teils mit umsteigen). Theoretisch gilt das auch für Gozo, allerdings fahren die Busse nicht so häufig. Wir waren nur einen Tag da und hatten aus Zeitgründen ein Auto. Kleinwagen kannst du ab 23 Euro am Tag mieten. Und Linksverkehr bist du ja gewöhnt seit Südafrika 😉 Viel Spaß in Malta … würde am liebsten mitkommen.
Sieht nach einer herrlichen Warmwetterwanderoption für den bei uns (wie aktuell) schmuddligen Herbst aus. Fungus Rock sieht genial aus, seufz!
Vor allem mit Sonnengarantie! Das ist es, was mir immer besonders fehlt im deutschen November 🙁
Dieses Felsfenster ist ja der Hammer, Antje. Ich hatte keine Ahnung, wie schön Malta und Gozo sind. Die kommen jetzt auf jeden Fall auf unsere Liste der Reiseziele, die wir sehen wollen.
Das geht vielen so. Die Inseln sind halt so klein, dass man sie nicht unbedingt gleich auf dem Radar hat, was Reiseziele betrifft. Dabei liegt der Vorteil auf er Hand: immer schönes Wetter, keine drei Flugstunden entfernt und Malta ist ein sehr sicheres Land. Heute ja auch nicht ganz unwichtig.