Yerseke ist ein beschaulicher kleiner Ort mit hübschen Backsteinhäuschen in Zeeland. Zu sehen gibt es nichts Besonderes – es sei denn, es ist gerade Auktionstag. An allen anderen Tagen ist es einfach der perfekte Platz zum Muscheln essen in einem der kleinen Restaurants auf dem Damm. Doch zunächst gehen wir an Bord eines Muschelkutters und nehmen Kurs auf die Oosterschelde.
Ein Korb wie ein überdimensionales Einkaufsnetz schwimmt neben uns im Wasser, taucht ein paar Mal unter, um dann seine triefende, schwarz glänzende Ladung an Bord zu hieven. Vorsichtig öffnet Willem eine Schale, löst das Fleisch mit dem Messer und hält mir die rohe Miesmuschel vor die Nase: Probier mal!
Echt jetzt?
Austern ja, aber rohe Muscheln habe ich noch nie gegessen.
Ich vertraue Willem und schlucke den etwa vier mal zwei Zentimeter großen Körper langsam hinunter. Schmecke das Salz auf der Zunge und spüre das feste Fleisch am Gaumen. Keine zwei Minuten sind vergangen seit dem Moment als die Muschel mit tausenden anderen aus dem Wasser gefischt wurde.
Willem ist Geschäftsführer von Delta Mossel, einem von sieben Muschelverarbeitungsbetrieben in Yerseke, in der Provinz Zeeland, ganz im Südwesten der Niederlande. Zwischen dem Verlassen der Fabrik und der Ankunft der Muscheln im Kühlregal des Händlers liegen laut Willem maximal 24 Stunden. Dazwischen mehrere Arbeitsschritte wie Entsanden, Reinigen, Sortieren und Verpacken.
Auf dem Muschelkutter ist für Fischerromantik normalerweise wenig Platz, auch wenn unsere Fahrt in der Oosterschelde sich ein bisschen so anfühlt. Die Sonne wärmt mein Gesicht, frische Salzluft in den Haaren.
Drei bis fünf Mal hat er die Muschel auf dem Boot bis sie ausgewachsen ist, erzählt Muschelzüchter Geert, der von klein auf mit dem Vater draußen auf dem Meer war und das Handwerk von ihm gelernt hat.
Inhaltsverzeichnis
Seit Generationen lebt man in Yerseke von den Mosselen
Seit mehr als 150 Jahren leben die Menschen vom Muschelfang in Zeeland. Eine offizielle Ausbildung gibt es nicht, jede Generation vererbt ihr Wissen an die nächste. Die ihrerseits die Technik weiter verfeinert. So kratzen Geert und seine Kollegen, anders als früher, die Muschelsaat nicht mehr vom Meeresboden, sondern fangen sie umweltverträglich im Wasser auf. Mit Netzen und Tauen, an denen die Minimuscheln andocken.
Im August ziehen diese um in eine andere Parzelle, wo sie über den Winter in Ruhe wachsen. Im folgenden Frühling werden die nun jugendlichen Muscheln erneut „umgepflanzt“, um die Parzellen für die neue Muschelsaat frei zu machen.
Weitere Umzüge sind nötig, wenn sich beispielsweise ein schwerer Sturm über der Nordsee ankündigt. Dann holt Geert die Muscheln vom Wattenmeer in die geschützte Oosterschelde, wo sie außerdem vor natürlichen Feinden wie Krabben und Seesternen sicher sind.
Sind die Muscheln nach zwei Jahren groß genug, kommen sie nach Yerseke zur Auktion.
Wir fahren zum Muschelbüro in Yerseke, einem unscheinbaren Flachbau am Hafen. Seit 1968 wechseln hier ganze Schiffsladungen den Besitzer, 300.000 Kilogramm Muscheln von 88 Züchtern im Schnitt jede Woche werden im Muschelbüro versteigert. Die Auktion ist einmalig in Europa.
Muschelauktion in Yerseke – einmalig in Europa
Zunächst prüft Auktionator Nico die Qualität (einige Muscheln von jeder Charge werden nur für diesen Zweck gekocht) und setzt einen Mindestpreis fest. Neben Größe und Gewicht entscheidet auch die Optik von Schale und Fleisch über den Preis.
In einem geheimen Verfahren, bei dem jeder Teilnehmer seinen Maximal-Preis nennt, ermittelt er den Meistbietenden, der den Zuschlag erhält. Erst dann wird der Verkaufspreis öffentlich. Die Fischer sitzen währenddessen in den hinteren Reihen der Auktionshalle und hoffen, dass ihre Schiffsladung möglichst viel einbringt.
An guten Tagen erhalten sie für eine Muscheltonne (100 Kilogramm) mehr als 100 Euro, am Anfang der Saison schon mal bis zu 160 Euro. Direkt nach der Auktion bringt der Züchter die Muscheln mit seinem Kutter zur Lagerparzelle des Käufers.
Nach so viel Theorie bekomme ich Hunger. Ich will herausfinden, ob die Miesmuscheln wirklich so besonders sind, wie die Zeeländer behaupten.
Fangfrische Muscheln in der Oesterij auf dem Damm
Am besten in der Oesterij auf dem Damm, wo jetzt ein dampfender Topf mit gekochten Miesmuscheln vor mir auf dem Tisch steht. Ganz so wie Geert sie auch zu Hause am liebsten zubereitet: mit Salz, Pfeffer, Zwiebel, Knoblauch, Lorbeer, Sellerie – ohne Karotten – kurz aufkochen und servieren.
Dazu ein Glas Rueda – und ein wunderbarer Blick auf die Austernbecken. Einfach köstlich.
Wenn du das Spektakel selbst einmal erleben willst, dann merke dir den jährlichen Muscheltag im August vor. Ein ganzes Wochenende steht dann im Zeichen dieser Meeresfrüchte: Informationen, Bootstouren und Verkostungen. Über Jahr kannst du dich für Touren mit dem Muschelkutter auch über das Tourismusbüro in Yerseke anmelden (VVV Yerseke, Kerkplein 1, Tel. 0031-113571864).
Infos und Adressen:
De Oesterij
Angeschlossen ist ein Informationszentrum und eine kleine Proeverij, die auch Kostproben anbietet.
Havendijk, 12
4401 NS Yerseke, www.oesterij.nl
Allgemeine Informationen über Zeeland: www.vvvzeeland.nl
Danke an den VVV Zeeland und das Niederländische Büro für Tourismus & Convention (NBTC). Meine Reisen werden zum Teil unterstützt durch Tourismusverbände, Veranstalter und Hotels. Auf Art, Inhalt und Umfang meiner Artikel hat dies keinen Einfluss, meine Meinung bleibt wie immer die eigene.
4 Kommentare
Liebes Team,
wo kann so eine Muschelfahrt gebucht werden????
LG Karin
Hallo Karin,
direkt im Hafen von Yerseke, einfach im Infozentrum fragen. LG, Antje
So eine Muschelfahrt in Holland würde uns auch einmal gefallen. Fischerromantik hatte ich da sowieso nicht erwartet. Vielmehr würde mich interessieren, wie die Muschelzucht abläuft. Das ist bestimmt interessant.
Das lohnt sich, man lernt sehr viel von den Fischern, auch über die Verarbeitung. Und anschließend kann man die Muscheln in Yerseke direkt am Hafen frisch essen in einem der kleinen Bistros.