Tag 2 in Estland. Nachdem wir die Hauptstadt Tallinn erkundet haben, steht nun der Westen des Landes auf dem Programm: ein mondäner Kurort an der Westküste, der singende Sand bei Nõva und als Krönung ein Schloss.
Die Mietwagenübergabe im Hotel klappt reibungslos, die Esten sind so pünktlich wie man es uns Deutschen gern nachsagt. Punkt neun Uhr steht der Mitarbeiter des Vermieters an der Rezeption.
Wir wollen nach Haapsalu, rund hundert Kilometer westlich von Tallinn. Doch das dauert, zunächst kommen wir gerade mal mit Tempo 40 voran. Nein, kein Stau, die Straßen auf dem ersten Stück ziemlich schlecht und die Ausschilderung verwirrt mehr als sie uns leitet. Dank Google Maps aber dann kein Problem, nach knapp zwei Stunden erreichen wir Haapsalu.
Inhaltsverzeichnis
Haapsalu: Häuser im Zuckerbäckerstil
Erste Überraschung: wie groß Haapsalu doch ist. Ich hatte mir einen beschaulichen Ort vorgestellt, ein Seebad im alten Stil ja, aber keine größere Stadt. Erst im ursprünglichen Ortskern finden wir noch das Flair der Zarenzeit. Jedenfalls stellen wir uns vor, das es damals so aussah.
Auf der Strandpromenade dann die Holzhäuser, die so typisch sind für die Gegend. Manche verwittert, andere halb verfallen, wieder andere hübsch restauriert, die meisten in Pastell. Blau, gelb, grün, braun. Das Schönste ist das Kurhaus in Weiß. Haapsalu ist bekannt für seine Holzhäuser, die mit filigraner Schnitzerei verziert sind. Wie im Zuckerbäckerstil, kommentierte neulich jemand eines meiner Bilder auf dem Instagram-Account. Ja, genauso sehen die aus, ich hätte die ganze Zeit nur diese architektonischen Kunstwerke fotografieren können.
Den Charme der Vergangenheit spüren wir auch am historischen Bahnhof – ein Schmuckstück in Rot und Beige, traditionelle Holzbauweise. Das Gebäude beherbergt ein Eisenbahnmuseum, auf den Schienen stehen alte Dampfloks mit Rädern, größer wie ein Mensch. Als würden sie jedem Moment abfahren. Im Wartesaal hängt noch ein riesiger Fahrplan mit Verbindungen nach Tallinn.
Der Promenadenweg zieht sich vom Kurhaus am Meer entlang, geschmückt mit weißen Bänken. Die berühmteste ist nicht weiß und steht ein Stück zurückversetzt vom Weg: die Tschaikowsky-Bank. Der Komponist hat mal einen ganzen Sommer in Haapsalu verbracht. Eigentlich soll Musik erklingen, wenn man sich setzt, die 6. Sinfonie, die ihm hier einfiel. Hat leider nicht funktioniert bei uns.
Sehenswert im Ort ist ansonsten noch das Schloss (mit oder ohne Museum). Wir schauen uns nur den Garten an, der wie ein kleiner Park angelegt ist. Ein nettes Restaurant finden wir auf der Karja-Straße: Hapsal Dietrich. Hübsches Backsteinhaus, kleine Terrasse, üppige Petunien am Fenster. Moment mal, zu Hause sind die Blüten doch noch viel kleiner. Die Erklärung ist einfach: Der Sommer ist kurz hier, deshalb werden die Pflanzen so weit vorgezogen, dass sie Ende Mai schon voll blühen, während bei uns noch zarte Pflänzchen in den Kästen stecken, die erst noch florale Schönheiten werden wollen.
Wir bestellen den Fisch des Tages: baltischen Hering. Den gibt es überall hier, in allen möglichen Varianten. Immer gut. Dieses Mal kommt er frittiert daher. Die Fische sind kleiner als wir sie kennen, eher wie Sardinen. Dazu gibt es Pellkartoffeln und Sauce Tatar. Einfach, kann so gut sein.
Singende Dünen in Nõva
Aus Haapsalu raus fahren wir ein Stück so zurück, wie wir gekommen sind, biegen aber dann bald nach links ab nach Noarootsi. Ein weitläufiges Waldstück an der Küste, unberührte Natur, soweit man gucken kann. Blaubeeren und Preiselbeeren wachsen zu beiden Seiten der Straße. Ganz lecker ist der Honig mit Blaubeeren, der hier hergestellt wird. Macht süchtig.
Zwischendrin mitten im Wald versteckt liegen kleine Seen, die durch Wanderwege verbunden sind. Westlich von Nõva gibt es einen langen Strand mit “singendem Sand”, versprach der Reiseprospekt. Der Strand ist traumhaft, der Sand blütenweiß. Ich nehme eine Handvoll hoch, lasse ihn durch die Finger rieseln, lege mich in den Sand, halte das Ohr an den Boden. Doch so sehr ich mir Mühe gebe, er bleibt stumm. Vielleicht wird er heute auch nur von Wind und Meer überstimmt. Schön ist es auch so hier und die Kitesurfer freuen sich über die kräftige Brise.
Hinter den Dünen gibt es überall Grillstellen. Am Wochenende kommen die Leute aus Tallinn her zum Zelten oder sie haben gleich eine Datsche. Die kleinen (manche schon ziemlich stattlich) Holzhäuser findet man überall im Wald. Hat etwas märchenhaftes an sich.
Eine Weile bleiben wir noch am Meer, sitzen einfach im Sand und schauen auf’s Wasser. Die Zeit verfliegt, schon ist es später Nachmittag. An der Küste fahren wir schließlich weiter nach Keila Joa. Auf den Straßen gibt es kaum Verkehr. Auch in der Stadt sind nur wenig Autos unterwegs, verglichen mit dem täglichen Stau oder Straßenkampf einer deutschen Großstadt. Sehr angenehm.
Herrschaftlich: Schloss Fall in Keila Joa
Schloss Fall in Keila Joa liegt rund 20 Kilometer vor Tallinn. Ein Schloss im eigentlichen Sinne ist das nicht, vielmehr ein Gutshof. Umgeben ist das Gebäude, das ein russischer Architekt im 19. Jahrhundert entworfen hat, von einem gepflegten Park, an den der Keila-Wasserfall angrenzt. Im frisch renovierten Herrenhaus kann man übernachten oder einfach auch als Tagesgast das Museum (schöne Gemälde im Keller) oder das Restaurant besuchen. Die Küche ist sehr gut und gehoben. Unser Tatar de Boeuf, die Kalbsbäckchen sowie die Millefeuille mit Marzipancreme und Erdbeeren waren großartig. Der (etwas zu steife) Service empfiehlt gern die passenden Weine dazu.
In einer reichlich halben Stunde sind wir zurück in Tallinn.
Infos & Adressen:
Hinkommen:
Am besten mit dem Mietwagen von Tallinn auf der A9 bis Haapsalu, Dauer ca. 90 Minuten (100 km). Den Rückweg entlang der Küste über Nõva
Essen & Trinken:
Hapsal Dietrich, Karja 10, Haapsalu
Schloss Fall & Herrenhaus, Keila Joa
Weitere Infos unter www.visittallinn.ee und www.visitestonia.com.
Hinweis: Meine Reise wurde unterstützt vom Estonian Tourist Board und VisitTallinn.