Das Wasser reicht schon bis zur Hüfte. Man hat uns gewarnt: Die Flut kommt immer pünktlich. Wie rasant, das überrascht dann aber doch. Zwanzig Minuten später ist nichts mehr zu sehen von den Austerntischen.
Nur wenige Stunden bleiben Ivan Sélo jeweils, um die langen Reihen mit den poches zu bearbeiten. Einmal am Tag nimmt er Gäste mit aufs Boot und zeigt ihnen, wie und wo die Austern wachsen. Seit fünf Generationen züchtet seine Familie die beliebten Meeresfrüchte im Golf von Morbihan, dem “Mittelmeer der Bretagne”. Die Austernparks, wie er sein Revier nennt, befinden sich in der Nähe von Locmariaquer, auf der Insel Longue und bei Quiberon.
Punkt zwölf sind wir an der Cabane à Huîtres am Ende der Toulvern-Landzunge, mitten im Golf. Zeit genug, noch etwas zu essen im Restaurant am Bootsableger. Moules frites klingt gut. Plat pêcheur mit Langusten, Austern und Meeres-Schnecken noch besser. Dazu einen kühlen Muscadet. Herrlich!
Selbst Seesterne lieben die Austern vom Golf von Morbihan
Als die Ebbe den tiefsten Stand erreicht hat, legt das Boot ab mit Kurs auf die Passage Baden-Locmariaquer. Die Strömung ist dort besonders stark, bis zu 20 km pro Stunde, erklärt Ivan. Massen von Wasser werden bei jeder Tide vom Atlantik herein gespült und wieder ausgespuckt. Frische Nahrung für die Austern, die sich unter anderem von Plankton ernähren.
Wir passieren eine Sandbank mit wilden Austern, die auf dem Boden verstreut liegen, nicht wie die gezüchteten auf Bänken. Ein paar Stunden in der Sonne machen ihnen nichts aus, sie haben genug Wasser gespeichert, um die Ebbe gut zu überstehen. Gefährlicher werden ihnen eher die Schnecken, auch bekannt als Austernbohrer, die mit ihrer Zunge ein Loch durch die Schale bohren, um an die Delikatesse zu kommen. Oder Seesterne, die sich an der Schale festsaugen und die Austern einfach auseinander ziehen. Wer jemals eine Auster geöffnet hat, weiß, welche Kraft da vonnöten ist.
Die Austern im Golf sind die besten, raunt mir eine französische Mit-Passagierin zu. Tatsächlich gibt es Unterschiede im Geschmack, bestätigt auch Ivan. Sogar einen Terroirgedanken ähnlich wie beim Wein. Ansonsten werden Austern nach Größen sortiert: 6 bis 0. Wobei Null die größten sind.
Nach einer halben Stunde legen wir an der Insel Longue an.
In langen Reihen stehen die Tische, überzogen von einem grünen Algenteppich. Die Austern liegen in poches, ca. 80 mal 50 cm große Säcke aus Plastikgaze, mit Gummiseilen gesichert.
Ivan teilt Fischerhosen aus, riesige Gummistiefel, die bis unter die Achseln reichen. “Alors, on y va, travaillez!” Ran an die Arbeit.
Schätzungsweise 200 Austern sind im Sack, jeder so schwer wie 50 Liter Blumenerde. Algen abreißen, Sack um 180 Grad herum wuchten und mit einer Art Holzspatel kräftig draufhauen, damit sie nicht aneinanderwachsen – bei Ivan sitzt jeder Handgriff. Einmal pro Woche muss jeder Sack gewendet werden. Einige vom Boot versuchen sich ebenfalls als Austernzüchter. Ein Knochenjob. Für durchschnittlich 50 Cent Erlös pro Auster, wenn diese nach etwa zwei(!) Jahren zum Verkauf reif ist.
Fast 90 Prozent aller europäischen Austern werden in Frankreich gezüchtet, 125.000 Tonnen pro Jahr. Und meistens auch gleich im Land verzehrt, besonders gern zu Weihnachten.
Allzu viele poches sind nicht bearbeitet, die Flut ist schneller als wir. Die vorderen Tische hat das Wasser bereits bedeckt, eine Viertelstunde später komplett verschluckt.
Wir gehen zurück aufs Boot und zum gemütlichen Teil über, ein paar Flaschen Muscadet de Sèvre et Maine machen die Runde. Ivan stellt Platten mit frischen Austern, Brot und gesalzene Butter auf den Tisch. “Am liebsten mag ich sie pur. Aber wir Bretonen lieben Austern auch mit Schalotten und Vinaigrette”, verrät er.
Das Wasser reicht schon bis zur Hüfte. Man hat uns gewarnt: Die Flut kommt immer pünktlich. Wie rasant, das überrascht dann aber doch.
Wie man eine Auster denn fachmännisch öffnet, will jemand aus der Gruppe wissen. “Alors, Messer ins Schloss stecken, Arme fest anwinkeln, die Auster (nicht das Messer) ein bisschen drehen, dann das Messer nach oben kippen, Daumen rein und den Muskel vom Deckel abschneiden – et voilà”, sagt Ivan und bei ihm sieht es kinderleicht aus. Das erste Wasser kippt man weg, die Auster bildet neues. Das schlürft man zusammen mit dem Fleisch, Mutige kauen die Auster vorm Schlucken. Was für ein Genuss!
Die Schalen werfen wir hinter uns ins Meer. Ich muss an die Szene bei den Sch’tis denken und lachen. Das hier hat schon auch einigen Unterhaltungswert. Darauf noch einen Muscadet …
Während das Boot langsam zurück zur Pointe de Toulvern gleitet.
Information und Buchung: Au Rythme des Marées
Die Recherche wurde unterstützt von Atout France.
10 Kommentare
Ich war bisher noch nie in der bretagne. Im Juli geht es jedoch mit meinem Freund nach perros-guirec. Auf Fotos hat mir die rosa Granitküste bisher am besten gefallen-freue mich schon sehr siellive zu sehen.
Aber erst mit einem guten Buch ist mein Urlaub perfekt 🙂
Es ist schwer, sich zu entscheiden, wohin man in der Bretagne fährt, finde ich. Unsere Wahl fiel letztes Jahr auf Belle-Île und wir haben es nicht bereut. Und es war sicher nicht der letzte Urlaub in der Bretagne.
Die Bretagne- das Finistere….. wir sind Wiederholungstäter, kommen immer in die Nähe von Plouescat…. dort gibt es viele traumhafte Strände, Ar Amied- unser blaue Lagune, Kerfissen Keremma, Kerlouan… um nur einige zu nennen….jeden Tag geht es auf Tour, es gibt so viel zu sehen- von Morlaix bis runter zum Pointe du Raz und so vergehen 3 Wochen wie im Fluge.. leider ist der Urlaub in diesem Jahr schon Geschichte, aber das Ferienhaus für 2017 steht schon fest und die Zeit bis dahin vergeht mit Bilder anschauen, Bücher lesen, träumen und freuen auf das Kommende….
Das mag ich auch, mich beim Lesen direkt an den jeweiligen Ort gedanklich zu beamen. Ist fast wie ein kleiner Urlaub.
Ich liebe Frankreich und die Atlantikküste dort besonders… Am Strand wandern, das türkise Meer z. B. in Kerlouan bewundern, das lässt einen nicht mehr los…!
Stimmt absolut, das geht mir auch so.
Ich mag die Bücher sehr, da ich auch die Bretagne relativ gut kenne werde ich Ich immer an die schönen Orte zurück versetzt. Ich habe noch nie eine Auster gegessen….Ich kann einfach nichts lebendiges in den Mund stecken..Ansonsten mag ich fast alles an Meeresgetier
Naja, wenn Austern nicht gehen, gibt es ja zum Glück noch genug anderes aus dem Meer. Ich liebe es, frischen Fisch direkt vom Boot zu kaufen, besser geht es nicht.
Ob diejenigen, die Austern auch essen überhaupt wissen, wie diese geerntet werden? Muss man mal gesehen haben.
Ja, man schätzt das dann ganz anders.