Heute ist ein guter Tag: Sie ist nicht wütend. Bewegt sich fast träge in ihrem Bett. Manchmal jedoch macht sie ihrem Namen alle Ehre, die Wutach. Als wilder Fluss tobt sie dann durch die Schlucht und ihr Pegel schwillt schon mal auf zwei, drei Meter an. Wer oder was dann im Weg steht, hat keine Chance. Sie ist selbst stärker als die Granitbrocken vom Feldberg, die sie schon fast 30 Kilometer weit mitgerissen und als Kiesel behalten hat.
Echt wild: die Wutachschlucht
Irgendwann beruhigt sie sich wieder, fließt friedlich vor sich hin, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Entlang steiler Felswände, bizarrer Steinformationen, vorbei an bemoosten Bäumen, die aussehen als streckten sie ihre dünnen Äste wie Finger in die Luft. Mal ist das Ufer dschungelartig verwachsen, mal balancieren wir auf dem schmalen Pfad an der Felswand über der Wutach.
Für viele der schönste Teil des Fernwanderweges „Schluchtensteig“: die Wutachschlucht
An der Schurhammermühle ist ein guter Platz für eine Vesper, ziemlich in der Mitte des Wanderklassikers von der Wutach- zur Schattenmühle. Die 13 Kilometer lange Tour gilt als Filetstück des Fernwanderweges Schluchtensteig.
Auf der Wiese gibt es seltene Büschelglockenblumen und Blaulinge, kleine Schmetterlinge, sagt Martin Schwenninger, den wir ein Stück begleiten. Als Wutachranger kennt er hier jeden Stock und jeden Stein. Wenn er nicht als Leiter des Forstreviers Bad Boll beschäftigt ist, kümmert er sich um die Wutachschlucht. Zehn Jahre macht er das schon: Führungen, Öffentlichkeitsarbeit, Naturschutz, verschiedene Interessen unter einen Hut bringen.
Martin zeigt uns Dinge, an denen wir achtlos vorbeilaufen würden. Zum Beispiel die Fliegenlarve, die drei Jahre braucht, um ihr Leben zu beginnen. Das nach nur einem Tag wieder endet. Oder dass man das Gestein im Fels lesen kann wie ein Buch.
Solche Sachen gefallen auch den Kleinen. Vor allem, wenn so eine Führung sich wie ein Spiel anfühlt, wie ein einziges Abenteuer. Wenn nach einer Junior Ranger Tour die Kids abends nach Hause kommen und schlauer sind als die Eltern, dann weiß Martin, er hat seinen Job gut gemacht.
Die Wutachschlucht ist ein Lehrbuch: für Geologen, Biologen, Zoologen. Für alle anderen: märchenhaft schön.
Er sagt, die Wutachschlucht ist ein geologisches Lehrbuch zum Durchlaufen: Gneis, Granit, Buntsandstein, Muschkalk, Keuper, Lias und Dogger. Letzteres hatte ich bis dato nie gehört.
Vieles andere auch nicht. Feuersalamander: ja. Aber Wasseramsel? Haarschnecke? Leben alle in der Wutachschlucht. Etwa 10.000 Arten, schätzen Zoologen.
Kurz vorm Ende der Tour durch die Wutachschlucht laufen wir durch das ehemalige Bad Boll, einem luxuriösen Heilbad vor dem ersten Weltkrieg. Wer es sich leisten konnte, kurierte mit dem Wasser aus der Mineralquelle die Krätze weg. Um 1900 herum glänzte der Ort mit Hotel, Tennisplatz, beleuchteten Galeriewegen, Pavillons und Bootsweiher. Die Herren vom London Fishing Club waren begeistert von den Bachforellen, die sie aus der Wutach ziehen konnten.
Die Idylle war nicht von Dauer. Der Kurort verfiel, die Wutach verdreckte durch Industrieabwasser. Glücklicherweise konnte der Bau einer Staustufe verhindert werden in den 50er Jahren. Dass die Forellen hundert Jahre später wiederkommen sollten, undenkbar.
Seit 75 Jahren ist die Wutachschlucht nun Naturschutzgebiet und nicht nur die Fische sind zurück. Jährlich wandern bis zu 80.000 Menschen durch die wildromantische Landschaft. Zum Glück nicht alle auf einmal.
Führungen: dienstags von 10 bis 16 Uhr. Anmeldung telefonisch unter 07703-919412 oder per E-Mail: wutachranger@web.de.
Die Reise wurde unterstützt durch die Hochschwarzwald Tourismus GmbH.
2 Kommentare
Hallo Antje,
ein schöner Blogartikel über die Wutschschlucht. Ich mag Wandertouren die mich nicht nur sportlich fordern, sondern auch Vielfalt an botanischen Kostbarkeiten oder geologischen Besonderheiten bieten. Über den Schluchtensteig habe ich schon öfter gelesen. Besonders schön soll es dort im Frühlings sein, wenn Bäche sprudeln und das üppige Grün von Bärlauch und Pestwurz sprießt.
Danke dir. Das hab ich mir auch vorgenommen: den Schluchtensteig mal im Frühjahr zu gehen.