Genuss rundum: Bei unserem Ausflug nach Marbach am Neckar haben wir Kopfsteinpflasteridylle, Architekturjuwelen, Literaturschätze und Weinkultur entdeckt.
Der schönste Weg, um nach Marbach zu kommen? Auf dem Wasser. Bei einer Neckar-Kreuzfahrt könnt ihr von Stuttgart aus gemütlich an den Weinbergen vorbei schippern – an den steilen Hängen vom Cannstatter Zuckerle mit alten Trockenmauern bis zum Naturschutzgebiet Zugwiesen bei Ludwigsburg. Gegenüber den Uferwiesen gleitet das Schiff entlang der Weinberge von Poppenweiler, wo auch die Reben der Marbacher Weingärtner wachsen.
Wenn das Schiff kurz darauf in Marbach anlegt, sind es nur noch ein paar Minuten zu Fuß in die Altstadt.
Inhaltsverzeichnis
Schillerstadt Marbach am Neckar: Holdergassen, das charmante Wengerter-Quartier
Fachwerkhäuser, Türme und Brunnen: Zwischen Weinbergen und Streuobstwiesen thront Marbach über dem Neckar. Eine der ältesten Landstädte in Württemberg, die Ende des 17. Jahrhunderts leider größtenteils abbrannte.
Heute sind die in den Holdergassen wieder aufgebauten Häuser das Schmuckstück der Stadt. Das frühere Quartier der Weingärtner und Bauern lebt von einem einzigartigen Mix aus dicht gedrängten Häuschen, kleinen Ateliers und Werkstätten. Bunte Fensterläden, Blumen, Weinlaub, Bänke und eine kleine Brauerei laden ein zum Bummeln durch die drei parallel verlaufenden Kopfsteinpflastergassen – inklusive einem Schwätzchen mit den Bewohnern.
Wenn man wie ich heute mit Weinerlebnisführer Gerhard Thullner und mit Stadtführer Albrecht Gühring unterwegs ist, dauert dies gar nicht lang. Hier kennt man sich einfach – und bekommt schon mal im Vorbeigehen ein kühles Bier aus der Salzscheuer gereicht.
Alle zwei Jahre im September, immer bei geraden Zahlen, findet in diesem historischen Viertel das Holdergassenfest statt, bei dem Einheimische und Gäste ein ganzes Wochenende lang zusammen feiern.
Blindprobe in den Gassen
Für mich hat sich Gerhard etwas anderes ausgedacht, nämlich das, was auch seine Weintouren-Gäste versuchen dürfen: eine Blindprobe.
Dabei befinden sich die Weine in komplett schwarzen Gläsern und ich soll erkennen, welche das sind, also in welchem Glas der Weißwein, der Rote und der Rosé.
Das klingt einfacher als es tatsächlich ist, denn die Aromen können einen – wortwörtlich – schnell an der Nase herumführen, wenn man nichts sieht. Ein fruchtig ausgebauter Rotwein kann dann durchaus wie ein Weißwein riechen und umgekehrt. Probier’s mal aus.
Glück gehabt, ich hab mich nicht blamiert und den Trollinger fix erkannt, die beiden anderen waren auch kein Problem. Es war nämlich in allen drei Gläsern Trollinger drin – außer dem Rotwein und dem Rosé ein weiß gekelterter von den Marbacher Weingärtnern.
Die bewirtschaften rund 65 Hektar rund um Marbach, meist im Nebenerwerb. In den Weinbergen wachsen überwiegend rote Rebsorten wie Lemberger, Trollinger und Spätburgunder.
Am Ende der Unteren Holdergasse kommen wir zu den Maurengärten. Mit den Berberstämmen haben diese rein gar nichts zu tun. Die heißen so, weil die Marbacher auf den schmalen Streifen an der inneren Stadtmauer im Mittelalter Obst und Gemüse anbauten.
Schiller, Wein und Tuk Tuk
Wenn ich genug davon verstünde, könnte dieser Artikel über Marbach auch ausschließlich von Architektur handeln. Allein, das Schiller-Nationalmuseum und das Museum für moderne Literatur faszinieren schon von außen. Und könnten kaum unterschiedlicher sein. Der Bau von David Chipperfield liegt wie ein Quader auf der Schillerhöhe, auf zwei Seiten spielen umlaufende Längsstreben mit Licht und Schatten und verleihen viel Leichtigkeit.
Das Schiller-Nationalmuseum erstrahlt blendend weiß im Stil eines Herrenhauses. Sehr repräsentativ für Deutschlands großen Dichter, der allerdings nie in diesem Haus lebte. Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als sein Geburtshaus in der Marbacher Altstadt aus allen Nähten platzte, werden hier Teile seines Nachlasses, Briefe und persönliche Sachen ausgestellt. Ein Teil des Museums widmet sich zudem anderen deutschsprachigen Dichtern, darunter einige schwäbische.
Herrschaftlich, ohne protzig zu wirken, ist auch der Eingangsbereich gestaltet: Über eine breite Treppe, gesäumt von Marmorsäulen, kommt man in einen Saal und von dort weiter in die Ausstellungsräume.
Vor allem Schillers Briefe ermöglichen es Interessierten, tief einzutauchen in sein Leben und seine Gedanken. Locker lässt sich so ein ganzer Tag in den beiden Museen verbringen. Nicht nur bei Regen ist das Museum sehenswert, auch an heißen Sommertagen herrscht in den Räumen eine angenehme Temperatur.
Das Schiller-Nationalmuseum und das Literaturmuseum der Moderne sind übrigens unterirdisch verbunden. Interessant fand ich dort den Gedichte-Zufalls-Generator. Ein Knopfruck und 40 Sekunden warten, dann rattern die Buchstaben (wie früher am Flughafen) und Zeile für Zeile entsteht ein neues, einzigartiges Gedicht. Magnus Enzberger hat eigens dafür eine Software programmiert, die aus bekannten Versen Wörter neu zusammensetzt.
Literatur und Wein passen hervorragend zusammen, fanden die Marbacher und haben, unter anderem mit Unterstützung der Weingärtner, einen Wein-Lese-Weg geschaffen. Der folgt dem Württemberger Weinwanderweg – von der Marbacher Schiffsanlegestelle bis zum Wunnenstein ins Bottwartal.
Auf der 36 Kilometer langen Strecke gibt’s 15 Stelen mit Zitaten, Anekdoten und literarischen Texte von Autoren, die einen Bezug zur Region Stuttgart hatten. Ausführlich stellt den Wein-Lese-Weg Andrea Hahn in ihrem Blog vor, sie hat das Konzept mit entwickelt, die Texte recherchiert und Abbildungen ausgewählt.
Marbacher Neckarhälde – wo der Wein an Steilhängen wächst
Von der Altstadt dauert es nur einen kurzen Spaziergang bis zum Wein-Lese-Weg. Ausnahmsweise gehe ich heute aber mal nicht zu Fuß, sondern steige am Museum in das chilirote Tuk Tuk von Christa Schultheiß. Mit ihrem Dreirad chauffiert sie Gäste auf verschiedenen Touren durch Marbach, natürlich auch in die Weinberge am Neckarufer.
Unsere erste Station ist die 2018 neu gebaute Aussichtplattform über dem Neckar – mit tollem Blick auf die Altstadt und zur anderen Seite auf die Steillagen.
Wie gemacht für eine Vesper. Marion Bäuerle von den Marbacher Weingärtnern wartet schon auf uns und hat eine echte Württemberger Spezialität mitgebracht: Muskat-Trollinger. Als spritziger Perlwein passt der lachsfarbene Secco mit etwas Restsüße zu beinahe jedem Anlass.
Muskat-Trollinger ist eine alte, rote Rebsorte, die sehr spät reift. Angesichts ihrer großen Beeren dachte man früher, dass es eine Variante des Trollingers sei. Heute gilt sie jedoch als eigenständige Sorte. Gemeinsam ist den beiden Reben nur, dass sie fast ausschließlich in Württemberg angebaut werden. Charakteristisch ist das weinige, intensive Muskataroma, ohne aufdringlich zu wirken. Auch das hatte wahrscheinlich Einfluss auf den Namen der Rebe.
Schiller und der Wein
Es sei ein klassisches Drama, die Weine aus Marbach nicht zu kennen, heißt es im Prospekt der örtlichen Weingärtner. Und laden deshalb ein, dies mit einer Weinprobe schleunigst nachzuholen. Gelegenheit gibt’s reichlich – beispielsweise an mehreren Sommerwochenenden beim Ausschank am Württemberger Weinwanderweg oder bei einer Tour mit den Weinerlebnisführern.
Einige von Schillers Figuren wie Tell, Don Carlos, Fürst Octavio oder Prinzessin Eboli begegnen einem auch in den Marbacher Weinen. Mehr noch, sie repräsentieren deren Charakter. Tell kommt beispielsweise als Premium-Lemberger aus ertragsreduzierten Weinlagen daher, ein intensiver, samtiger Rotwein mit Aromen von Schokolade, Tabak und Waldfrüchten, 20 Monate im Barrique gereift. Der Schillerwein hat allerdings nichts mit dem Dichterfürsten zu tun, dieser wird wegen seiner schillernden Farbe so genannt. Gekeltert werden dafür weiße und rote Trauben gemeinsam.
Ich könnte noch ewig sitzen am Wengerthäusle, Wein und Aussicht genießen. Kein Wunder, dass auch viele Einheimische diesen Ort zu ihrem Lieblingsplatz erkoren haben.
Weitere Infos und unsere persönlichen Tipps für Marbach:
Hinkommen: Mit dem Auto über die B14 oder B27 via Ludwigsburg. Mit den Öffis ab Stuttgart Hauptbahnhof mit der S4 nach Marbach.
Übernachten: Unterkunft in Marbach finden (Affiliate-Link: Du zahlst keinen Cent mehr, wir erhalten eine kleine Provision für unsere Arbeit. Fair, oder?)
Wein erleben:
- Weingärtner Marbach eG: offenes Wengerthäusle beim „Galgen“ von Mai bis September immer am letzten Sonntag im Monat (13-18 Uhr), www.wg-marbach.de
- Touren mit den Weinerlebnisführern: z.B. www.weinerlebnisführer.de, www.vinoco.de oder www.wein-ver-fuehrung.de
- Wein-Lese-Tage in Marbach: alle 2 Jahre im Januar (gerade Jahreszahl), www.wein-lese-tage.de
- Hannenherbst: Kelterfest am 1. Wochenende im September
- Holdergassenfest: alle 2 Jahre im September (gerade Jahreszahl)
- Stadtführungen: z.B. „Uff guat schwäbisch“ – mit dem Marbacher Holdergässler Joseph Dickkopf aus dem 18. Jahrhundert oder auch als Weinerlebnis „Wengerter Dickkopf“ mit den Weingärtnern Marbach. Mehr Infos und Buchung unter Tel. 97144-102-297 oder www.schillerstadt-marbach.de
- Der Wein-Lese-Weg führt (auf einem Teilstück des Württemberger Weinwanderweges) von Marbach bis zum Wunnenstein im Bottwartal auf 35 Kilometern Länge. 15 Literaturtafeln inspirieren am Wegrand mit Zitaten und Anekdoten. Beschreibungen, Karte und GPS-Daten findest du unter www.marbach-bottwartal.de. Kleinere Etappen kann man auf fünf Rundwegen erwandern (z.B. von Benningen über Marbach nach Steinheim und entlang der Murr zurück nach Marbach).
- Tuk Tuk Tours Marbach: verschiedene Touren z.B. Wein und Geschichten (2 Std. durch die Altstadt und in die Weinberge inkl. Wein/Sekt und Knabberei), Kontakt: Christa Schultheiß, Tel. 07144-160 20 53, Weitere Touren und Preise unter www.tuktukmarbach.de
Für Leseratten: Literaturspaziergänge: www.litspaz.de; Schiller-Nationalmuseum und Literaturmuseum der Moderne auf der Schillerhöhe, www.dla-marbach.de, Schillers Geburtshaus in der Niklastorstraße 31, www.schillersgeburtshaus.de
Essen & Trinken – Restaurants in Marbach am Neckar:
Da ich leider keine Zeit hatte für eine Einkehr, habe ich meine Marbacher Begleiter um ihre Lieblingstipps gebeten. Und das sind diese hier:
- Markt Dreizehn (Bistro), Marktstraße 13, www.marktdreizehn.de
- Idipfele, Marktstraße 8, www.i-dipfele.de
- Restaurant Glocke, Marktstraße 48, www.restaurant-glocke.de
- Restaurant Goldener Löwe (gehobene Küche), Niklastorstraße 39, www.goldener-löwe-marbach.de
- Gasthaus zum Ochsen (urig, schwäbisch), Bottwartalstraße 2, www.ochsen-marbach.de
- Lese-Café im Schiller-Nationalmuseum, Schillerhöhe 8-10, www.dla-marbach.de
Allgemeine Infos: Stadt Marbach am Neckar, www.schillerstadt-marbach.de und www.marbach-bottwartal.de