Während wir bei Nurit und Yuval, unseren EatWith-Gastgebern, auf der Dachterrasse beim Aperitif sitzen, rollt er die Regenbogenfahne aus und klemmt sie ans Geländer. Für unseren Nachbarn, sagt er. Das Künstlerpaar demonstriert mit dieser Geste, dass ihnen jeder willkommen ist. So denken viele in der Stadt. Überall in Tel Aviv flattern in diesen Tagen die bunten Stoffe.
Es ist Gay Pride Week.
Wir haben das (leider noch nicht bei der Reiseplanung) daran gemerkt, dass die meisten Restaurants und Hotels nahezu ausgebucht waren und die restlichen Etablissements Mondpreise verlangen. Allein 7.000 Besucher reisen aus dem Ausland an, meldet die Haaretz. Die Stadtverwaltung schätzt die Zahl der Gäste im Gay-Tourismus für den Juni 2014 auf 30.000, Tendenz steigend. Kein Wunder, die Lässigkeit und Toleranz der Tel Aviver haben sich über Social Media und Blogs längst herum gesprochen. Und schön ist es ohnehin hier: Der Hilton-Beach im Norden von Tel Aviv zählt in der Szene zu den Top 10.
Die Gays im Appartement nebenan bereiten sich für den Ausflug in die Nacht vor. Die könnte lang werden, denn am nächsten Morgen findet die jährliche Gay Pride Week ihr fulminantes Finale.
Mehr als 100.000 Besucher treffen sich an diesem Freitag am Meir-Garden zur großen Parade, die später am Charles-Clore-Garden in eine Riesenparty mündet. King George, Bograshov, Frishman und Herbert Samuel – sämtliche Straßen sind gesperrt, es wimmelt nur so von Polizeipräsenz und Taschenkontrollen. Doch Krawall ist das Letzte, auf was die Teilnehmer aus sind. Stattdessen hängen Luftballons und Partylaune in der Luft. Dabei geht es durchaus um Wichtiges. Das Thema der diesjährigen Gay Pride Week lautet: Familie.
Immer mehr Gay-Paare möchten auch Eltern werden und fordern Anerkennung als richtige Familie. Vom Staat und von der Gesellschaft. Deshalb endet die Parade auch diesmal nicht mit wildem Vergnügen am Strand, sondern im Charles-Clore-Park (der ebenso am Meer liegt, nur durch Felsen getrennt), wo die Kinder auf dem Spielplatz toben und zusammen mit ihren Eltern feiern.
Ein großes Fest, zu dem jeder eingeladen ist. Verständnis und Respekt für andere, so der Grundgedanke. Dazu offene, entspannte Leute wie Nurit und Yuval – das ist die Mischung, die Tel Aviv ausmacht. Go in Peace!, steht anstelle von Auf Wiedersehen!, an vielen Ausgängen von Bahnhöfen, Restaurants oder Einkaufszentren. Das wäre ein guter Anfang.