Wenn etwas untrennbar mit Zeeland verbunden ist, dann die Miesmuschel. So starte ich auch meine Tour durch die südwestliche Provinz der Niederlande direkt in Yerseke – der Muschelhauptstadt Europas. Behaupten die Zeeländer jedenfalls nicht ohne Stolz.
Im Muschelbüro erklärt Chefauktionator Nico zunächst, wie die einzigartige (und größte) Versteigerung abläuft. Muschelzüchter Geert gibt anschließend einen Einblick, wie aufwendig das Geschäft mit den schwarzen Schalentieren tatsächlich ist. Wusstest du, dass es mindestens zwei Jahre dauert, ehe eine Miesmuschel auf dem Teller landet? Und dass diese währenddessen vier, fünf Mal umgepflanzt (so nennen das die Züchter das Wechseln der Parzellen im Meer) werden muss, bevor sie groß genug ist für den Verkauf?
Yerseke ist ein beschaulicher, kleiner Ort mit hübschen Backsteinhäuschen. Zu sehen gibt es nichts Besonderes, aber es ist ein perfekter Ort zum Muscheln essen in einem der kleinen Restaurants, die auf dem Damm wie an einer Perlenkette aufgefädelt sind. Mit Blick auf die Muschel- und Austernbecken sowie der Oosterschelde als Hintergrundkulisse.
Inhaltsverzeichnis
Zeeland: Muscheln, Meer und Möwen
In der Oesterij dampft ein großer Topf mit Miesmuscheln vor mir auf dem Tisch. Ich liebe dieses unkomplizierte Essen mit den Fingern. Die Muscheln sind köstlich. Fleischig und groß. Ich frage Geert nach seinem Lieblingsrezept. Ganz einfach, meint er: Muscheln in den Topf geben, ein bisschen Zwiebeln, Lorbeer und Gewürze dazu und mit wenig Wasser ein paar Minuten aufkochen. Mehr braucht es nicht. Auf keinen Fall aber Karotten dazugeben. Die würden mit ihrem süßlichen Aroma den tollen Salzgeschmack der Muschel kaputtmachen. Das leuchtet ein.
Am Nachmittag fahren wir mit dem Muschelkutter zu den Lager-Parzellen von Delta Mossel, einem der großen Verarbeitungsbetriebe. Im flachen und geschützten Wasser der Oosterschelde werden die Muscheln nach der Versteigerung zwischengelagert. Mit einer kleinen Kostprobe einer rohen Miesmuschel neigt sich der erste Tag meiner Zeeland-Tour dem Ende entgegen.
Mein Quartier für die Nacht ist das Hotel Katoen in Goes. Sehr stylish und geschmackvoll verbinden sich Alt und Neu in diesem Haus. Große Garnspulen als Wanddekoration und Baumwollstängel in der Vase nehmen Bezug auf die Frauen, die an dieser Stelle einst Wäsche gebleicht haben. Sehr lecker auch das Abendessen in der Brasserie des Hotels: auf den Punkt gegarter Thunfisch mit Wasabi, gebackener Seebarsch mit Queller und Erdbeeren mit Aloe-Vera-Gelee und Vanille-Pfeffereis.
Delta Werke: Flutwehr und Naturschutz
Zeeland liegt nicht nur am Wasser, sondern eigentlich mittendrin im Meer. Hochwasserschutz ist demzufolge enorm wichtig für das Land und die Leute. Nach den bitteren Erfahrungen der Flutkatastrophe 1953 begann man mit dem Bau mehrerer Dämme mit riesigen Schotten, die dem Binnenland bei Gefahr Schutz bieten. Sehr informativ aufbereitet ist das Thema im Delta Park Neltje Jans, den ich am nächsten Morgen besuche.
Die Führung gibt mir einen Einblick in die Technik dieses Mammutprojektes, aber auch über das Leben im Naturpark Oosterschelde, dem größten in den Niederlanden. Dank der offenen Verbindung zur Nordsee und dem Wechsel der Gezeiten haben sich am und im Wasser viele seltene Arten angesiedelt, beispielsweise Korallen. Erkunden kannst du das Gelände zu Fuß, mit einer kleinen Bimmelbahn oder mit dem Schiff, von dem aus Seehunde oder Schweinswale zu sehen sind.
Von Neltje Jans fahre ich weiter über den Damm nach Burgh-Haamstede, zur Bäckerei Sonnemans. Hier muss jeder mal gewesen sein, der in Zeeland ist, heißt es. Der Grund: Zimtkringel. Die fluffige Hefeteig-Spezialität hat Tradition in der Gegend, sagt Bäcker (und Chef) Mathieu, der den Familienbetrieb in der vierten Generation führt. Nächstes Jahr feiern sie hundertjähriges Jubiläum. Während wir plaudern, darf ich einmal selbst probieren, einen Kringel zu formen. Irgendwie sehen meine aber aus wie eine Brezel …
Doch nicht nur die Zeeuwse Bolussen, wie die Zimtkringel hier heißen, locken die Leute in Scharen. Denn die Bäckerei sieht nicht aus wie jede andere, sondern vielmehr wie ein Museum, vollgestopft bis unters Dach mit allem, was das Herz jeden Flohmarktgängers höher schlagen lässt. Inzwischen sind die Kringel fertig und duften herrlich nach Zimt. Ein watteweicher Genuss.
Wir sitzen noch eine ganze Weile im Garten der Bäckerei, immer wieder verschwindet Mathieu kurz in der Backstube, um weitere Kostproben zu holen: Hackfleisch-Brötchen, Apfeltarte oder Gewürzkuchen. Ach ja, und das Eis solltest du auch probieren, kleiner Tipp am Rande.
Weiter geht’s nach Bruinisse. Dort treffe ich Henk, mit dem ich zum Fischen verabredet bin. Erst tuckern wir ganz gemütlich dahin, später mit bis zu 40 Knoten übers Wasser. Teils ist es nur wenige Zentimeter tief und so klar, dass wir die Austern am Boden liegen sehen. An einer Stelle mit zirka fünf, sechs Metern Wassertiefe werfen wir das Netz aus und warten. Henk fährt mit dem Boot zickzack, um die Fische aufzuscheuchen und in Richtung Netz zu treiben. Falls überhaupt welche da sind, denn Henk war bereits in der Nacht zuvor hier.
Seit er 14 Jahre alt war, fährt Henk zum Fischen raus mit seinem 70 PS starken Boot “Sam”, am liebsten nachts. Da sehen die Fische das Netz nicht. Sieben Berufsfischer gibt es in der Oosterschelde, die mit dem Netz fischen. Konkurrenz machen ihm aber noch andere: rund 600 Seelöwen und ein paar Füchse, die auf dem Damm leben und sich gern mal einen Fisch schnappen.
Als er das Netz wieder einholt, schwindet meine Hoffnung auf einen guten Fang. 350 Meter Netz (von 400) sind schon wieder im Boot, aber noch kein einziger Fisch. Nicht mal ein ganz kleiner. Dann gibt es heute Abend eben Fleisch. Als wir schon gar nicht mehr damit gerechnet haben, zappelt plötzlich ein Seebarsch im Netz. Kurz darauf noch zwei weitere. Na, wer sagt’s denn.
Zum Essen sind wir bei D.P. eingeladen, der eigentlich Dirk Peter heißt, aber alle auf der Insel nennen ihn D.P.. Ein Typ mit festem Händedruck, der glatt als Robinson Crusoe durchgehen könnte. Als wir beim Restaurant am Vluchthaven ankommen, liegt der Küchenchef bäuchlings im Wasser.
Aber alles ist in bester Ordnung.
D.P. taucht in den Becken und fischt ein paar stattliche Hummer heraus, die er gleich in der Küche zubereiten wird. Frischer geht’s wirklich nicht. Die Einladung zum Mitschnorcheln schlage ich dankend aus und warte lieber bei einem Glas kühlem Albariño auf der urigen Terrasse auf das köstliche Menü mit Hummer und Muscheln.
Es schmeckt fantastisch: Der Wels, der wie eine Ceviche zubereitet ist, der Hummer und vor allem die Messerscheidemuscheln vom Grill, die mit etwas Essig-Zwiebel-Vinaigrette und Olivenöl beträufelt sind.
Geöffnet ist das Restaurant nur im Sommer (bis zum 1. Oktober), die Winterpause nutzt D.P. für andere Projekte. So kommt er im November in diesem Jahr beispielsweise nach Berlin ins Contemporary Food Lab, der kulinarischen Denkfabrik von Katz Orange Gründer Ludwig Kramer-Klett.
Zeeland: Sonne, Salz & Sand
Nach einer erholsamen und ruhigen Nacht im Landgut Renesse komme ich in Vrouwenpolder an. Der Nordseestrand ist riesig, sicher 300 Meter breit. Nicht mal an den Hochsommertagen ist es hier so voll wie anderswo, sagt Sonja vom Tourismusbüro.
Ideal also für alle, die am Strand etwas Ruhe suchen. Am besten, man mietet sich gleich in eines der Strandhäuschen ein, die direkt an den Dünen stehen. Sie gehören zum Strandpavillon De Dam, der 2016 in seiner ersten Saison als Newcomer des Jahres ausgezeichnet wurde. Auf der verglasten Terrasse sitzt man herrlich und genießt die regionale Küche. Im Winter drinnen und schaut durch die riesigen Panoramafenster auf die Nordsee.
Gleich nebenan wartet Waldemar von der Surfschule Vertigo. Kitesurfen und Powerkiten sind zwei beliebte Strandaktivitäten in Zeeland, die ich heute auch mal ausprobieren will. Das erweist sich schwieriger als gedacht, der Drachen will einfach nicht aufsteigen und bleibt meist wie ein nasser Sack auf dem Sand liegen. Vielleicht liegt es daran, dass es nahezu windstill ist. Ein paar Mal klappt es dann doch, nur länger in der Luft kann ich ihn nicht halten.
Okay, dann versuche ich etwas anderes: Standup Paddling. Auf einem Surfbrett zu stehen, ist aber auch alles andere als leicht, wenn ständig eine Welle von der Seite anrollt. Besser geht es auf Knien, aber das ist ja nicht der Sinn der Übung. Egal, Spaß macht es trotzdem.
Und der Muskelkater wird zwei Tage später auch noch zu spüren sein.
Infos und Adressen:
- De Oesterij, Havendijk, Yerseke, Tel. 0031 (0)113 76 04 00 www.oesterij.nl
- Hotel Katoen, Bleekveld, Goes, Tel. 0031 (0)113 21 11 32 www.katoengoes.nl
- Deltapark Neeltje Jans Eiland, Faelweg, Vrouwenpolder, www.neeltjejans.nl
- Bakkerij Sonnemans, Hogeweg, Burgh-Haamstede, Tel. 0031 (0)111 65 14 29
- Vluchthaven , Zijpe, Bruinisse, Tel. (0031) (0)111 48 12 28, www.devluchthaven.nl
- Landgoed Hotel Renesse, Stoofwekken, Renesse , Tel. 0031 (0)111 46 17 88, www.fletcherlandgoedhotelrenesse.nl
- Kite- en Surfschool Vertigo, Strand Vrouwenpolder, Tel. 0031 (0)6 52 47 03 03 www.vertigo-sports.com
- Strandrestaurant de Dam, Strand Vrouwenpolder, www.de-dam.nl
Allgemeine Informationen über Zeeland: www.vvvzeeland.nl
Meine Reise wurde unterstützt von VVV Zeeland und NBTC.
6 Kommentare
Hey,
sehr schöne Artikel der Erinnerungen weckt! Ich war letztes Jahr das erstmal in Holland, Zeeland/Kamperland und hatte da so als Franke ja echt meine Bedenken, Ende Oktober an die Nordsee und flaches Land. Aber was soll ich sagen ich war begeistert von der Landschaft, den Dünen, dem Meer.
Danke 🙂 Ich persönlich bin ja sogar lieber im Herbst und Winter an der Nordsee. Da bekommt man so schön den Kopf frei.
Ein toller Artikel mit vielen nach-reisenswerten Tipps! Also De Dam muss ich mir unbedingt mal ansehen!
Danke. Das freut mich natürlich, wenn du als Einheimische das sagst 🙂
Oh Mann! Da läuft mir das Wasser im Mund zusammen von den ganzen Leckereien. Miesmuscheln, Shrimps und Hummer – dazu brauchst Du mich nicht lange bitten. Mein Traum ist es schon lange, einmal hinter die Kulissen von Muschelzüchtern zu schauen. Vielen Dank für den Tipp, Antje.
Gern 🙂 Das lohnt sich. Für mich waren Miesmuscheln bisher nichts Besonderes. Jetzt, wo ich weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt und wie groß die Qualitätsunterschiede sind, schätze ich sie viel mehr.