Jetzt bloß nicht stehenbleiben. Die wichtigste Verkehrsregel beim Überqueren einer Straße in Ho Chi Minh City lautet: einfach losgehen, immer langsam vorwärts. Niemals zurück, denn damit rechnet keiner. Und dann kann es gefährlich werden. Ich muss mich wirklich überwinden, auf eine stark befahrene Straße zu laufen, fühle mich alles andere als sicher.
Der erste Schritt ist der schlimmste.
Doch: es funktioniert. Autos und Mopeds kurven um mich herum als seien Fußgänger auf der Fahrbahn die normalste Sache der Welt.
Freitagabend in Ho Chi Minh City, halb sechs. Hauptverkehrszeit. Duy von Saigon Food Tour holt mich mit der Vespa vom Hotel ab, um mir ein paar typische Lokale mit vietnamesischer Küche zu zeigen. Auf der Hauptstraße am Saigon River ist kein Stückchen Asphalt mehr zu sehen, so dicht kleben die Fahrzeuge scheinbar aneinander. Knapp neun Millionen Einwohner (und gefühlt ebenso viele Mopeds) hat Ho-Chi-Minh-Stadt und sie alle scheinen heute Abend unterwegs zu sein. Keine zwei Minuten später sind wir mittendrin in diesem Wahnsinn.
Ho Chi Minh City ist eine Zumutung: der Verkehr, der Dreck, die schlechte Luft, die Enge. Kein Ziel, das sich lohnt anzuschauen.
Oder doch?
Inhaltsverzeichnis
Mit Saigon Food Tour durch die Nacht
Auf den zweiten Blick schon. Es sind die Gegensätze, die die Stadt ausmachen. Das Nebeneinander von Pagoden und glitzernden Einkaufspalästen, dampfenden Garküchen am Straßenrand und eisgekühlten Restaurants im 5-Sterne-Hotel.
Und es ist ein Ort, der mich überrascht mit etwas, dass ich sonst wo erwartet hätte, aber nicht hier: Kaffeekultur. An jeder noch so unscheinbaren Ecke von Saigon gibt es einen Coffee-Shop. Das Katinat zum Beispiel, nur ein paar Schritte von unserem Hotel auf der Dong Khoi. Eine Hommage an die französischen Kolonialzeiten, als die Straße noch Rue Catinat hieß. Von außen sieht es aus wie ein To-go-Kiosk, aber im ersten Stock kann man nett sitzen, lesen oder vom Balkon aus das Treiben auf der Straße beobachten. Und der Cà Phé ist richtig gut, vor allem die vietnamesische Variante finde ich lecker: mit gezuckerter Kondensmilch und Eiswürfeln. Der geht zu jeder Zeit – morgens zum Munterwerden, später gegen die drückende Schwüle. Oder einfach so als Zwischenmahlzeit.
Kaffeekultur in Ho Chi Minh City
Die Vietnamesen starten gern mit einer Suppe in den Tag, einer Pho. Die gibt es meistens mit Rind (mein Favorit), aber auch Hühnchen, Gemüse oder Garnelen, quasi überall. In den Filialen der Pho24-Restaurantkette kann man die Suppe sogar rund um die Uhr bekommen. Die Qualität dort ist erstaunlich gut, noch besser aber schmeckt es in den zahlreichen privaten Restaurants an der Straße.
Während unserer Foodtour kommen wir bald zu einem Lokal, das ausschließlich Pfannkuchen anbietet, auch ein sehr beliebtes Gericht in Vietnam. Gemacht werden die so: Der flüssige Eierteig kommt in eine Pfanne mit mehreren kleinen Mulden (ähnlich einem Muffinblech), je nach Geschmack Garnelen oder Gemüse drauf, bis das Ganze stockt. Das Küchlein wird nun zusammen mit frischer Minze und Basilikum in Wasabi- und Salatblätter gerollt, in verschiedene Dips getaucht und mit den Fingern gegessen.
Taste the night. Kulinarische Mutprobe inklusive.
Nach dieser Vorspeise wechseln wir in ein Freiluft-Grillrestaurant, das bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Wir sitzen bei immer noch knapp 30 Grad auf Kinderstühlchen an Kindertischen, auf denen jeweils ein Mini-Holzkohlerill steht. Es zischt und brutzelt, Rauchschwaden nebeln uns ein. Die Zutaten kommen roh und jeder legt sich sein Zeug selbst auf den Rost. Zeit für ein kühles Saigon Red.
Duy hat eine Überraschung mitgebracht, sagt er, und legt ein warmes Ei auf den Tisch. Eine Delikatesse, grinst er, und mich beschleicht eine Ahnung. Langsam beginnt er die Schale zu entfernen, gießt ein bisschen von der grünlichen Flüssigkeit weg und legt das Innere frei, das nicht mehr Ei und noch nicht Küken ist. Die Neugier besiegt den Ekel, ich probiere. Es schmeckt ein bisschen wie Hühnerleber …
Dann doch lieber die marinierten Streifen vom Grillfleisch. Was das eigentlich ist, frage ich Duy, und bereue es im selben Moment. Ziegeneuter. Keine Widerrede, ich muss probieren. Oh, wie Gummi. Okay, so viel Hunger habe ich bei der Hitze eh nicht. Und die Enokipilze mit (hoffentlich) Beef umhüllt, sind auch fein.
Zum Dessert gibt es noch mal Suppe, aber dieses Mal süß. Mit Kokosmilch, Lotusbohnen und Reis. Und reife Mango.
Es ist jetzt kurz vor 22 Uhr, die Stadt pulsiert. Nur am Fluss kann man der fiebrigen Hitze entkommen. Besonders schön erscheint Saigon nachts vom gegenüberliegenden Ufer, wenn die bunten Lichter der Wolkenkratzer sich im Wasser spiegeln.
Wir fahren durch die Nacht, inmitten eines riesigen Fischschwarms aus Blech, den lauen Wind im Gesicht. Den Lärm um mich herum nehme ich nur noch als Hintergrundrauschen wahr.
Ich vermute, bin angekommen. In Saigon.
Ein paar Tage später schickt Duy mir eine Mail. Er hätte mir gern noch ein paar andere Restaurants gezeigt, die ich unbedingt ausprobieren müsse, “you will like these dishes!”. Habe ich leider nicht mehr geschafft, aber ich gebe die Tipps gern weiter an dich.
Duy’s weitere Empfehlungen:
– Com tam cali (broken rice with grilled pork) – 32 Nguyen Trai, Ben Thanh Ward, District 1
– Banh Mi Huynh Hoa (14PM – 20 PM) – 26 Lê Thị Riêng, Bến Thành, District 1
– Bun Bo ganh (beef noodle not Pho) – 88 Hồ Tùng Mậu, Bến Nghé, District 1
Buchen kannst du die Saigon Food Tour unter Taste the Night.
Warst du schon mal in Saigon? Berichte doch mal von deinen kulinarischen Erlebnissen in den Kommentaren.
2 Kommentare
Das muss ja ein grandioses Erlebnis sein, Antje. Sowohl was das Stadterlebnis an sich anbelangt als auch die vielseitige Küche. An den Lärm müssten wir uns allerdings wahrscheinlich auch erst einmal gewöhnen. Aber das gehört ja zum Reisen dazu – Anderes erleben, Exotisches sehen und außergewöhnliche Küche probieren.
Unbedingt, Monika. Überrascht haben mir auch die vielen Coffee Shops, hätte ich in Saigon nicht so erwartet. Und Kaffee mit Eiswürfeln und gezuckerter Kondensmilch ist richtig lecker.