Stress lass nach … Ein neuer Trend aus Japan könnte dabei helfen – so einfach wie effektiv: Shinrin-Yoku. Oder ganz einfach Waldbaden.
Meine erste Aufgabe lautet, so langsam wie möglich in den Wald hinein zu laufen und dabei etwas aufzuheben, das mir auffällt. Ein schönes Blatt, einen Zapfen, ein Stück Rinde, ganz egal.
Kurz darauf ertönt der Kuckucksruf. Nicht in echt, obwohl der Kuckuck sich im Nordschwarzwald durchaus immer wieder blicken lässt. Für die Waldbadekursteilnehmer von Frauke Grötz ist es das Signal, kurz innezuhalten.
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Waldbaden im Schwarzwald
Meistens sehe man bereits an den ersten Metern, wie sehr viele Menschen im Alltag unter Strom stünden, so rasant marschieren diese los. Beim Waldbaden aber gehe es um das Entschleunigen und darum, seine Umgebung bewusst wahrzunehmen mit allen Sinnen.
Was ich mit dem Wald verbinde, will Frauke wissen. Runterkommen, die Stille genießen, durchatmen in der frischen Luft – der Wald tut gut, da sind sich alle einig. Nur dass man es bisher Waldspaziergang genannt hat.
Shinrin-Yoku sagen die Japaner dazu. Oder ganz einfach Waldbaden, der neueste Wellnesstrend in Deutschland. „Übersetzt bedeutet das in etwa ‚Baden in der Waldluft’. Wirklich nass wird dabei allerdings keiner, denn man geht nicht in einen See oder Bach, sondern taucht voll und ganz ein in die wunderbare Natur des Waldes“, erklärt Frauke.
Auf der nächsten Etappe heißt es: staunen. Klingt einfacher als gedacht. Irgendwann hat man verlernt, wie ein Kind durch die Welt zu gehen und die kleinen Wunder am Wegesrand zu sehen. Den perfekt gewachsenen Fliegenpilz oder die Schwammerln, die wie ein Kunstwerk am Baumstumpf kleben.
Hab ich mich je gefragt, warum Brennnesseln auf der Blattoberseite eine andere Farbe haben als unten? Allein wie viele Nuancen von Grün es gibt, finde ich erstaunlich. Die reinste Erholung für Augen, die täglich stundenlang auf irgendwelche Bildschirme starren.
Waldbaden heißt auch staunen
Unsere Gruppe hat schnell ihr Tempo gefunden, jeder schlendert für sich mit seinen Gedanken durch den Wald. Wie in Zeitlupe, ohne Ziel, einfach nur eins mit diesem Moment. Den Sonnenstrahl genießen, der sich durch das Laub bahnt, mit den Füßen durch das Laub pflügen, das so schön raschelt.
Kuckuckspfeifen. Zeit für ein paar QiGong-Übungen, einer Kombination aus chinesischen Atemtechniken und Meditation. Augen zu und tief Luft holen. Und dann langsam weiter. Die Strecke, die in den drei Stunden Waldbadekurs zurückgelegt wird, ist Nebensache, vielleicht zwei, drei Kilometer. Langeweile kommt trotzdem zu keinem Zeitpunkt auf. Im Gegenteil, die Zeit verrinnt schnell.
Man muss sich nur darauf einlassen. Auf einer besonders schönen Lichtung bekommt jeder 30 Minuten für sich. Manchmal komme es vor, dass jemand fragt: ‚Was soll ich nur so lang machen, hier gibt’s ja nicht mal Handyempfang?’ Frauke hat auch da Tipps parat wie beispielsweise auf einen Stamm setzen oder auf den Boden legen und den Wald auf sich wirken lassen. Einen Baum umarmen muss keiner, wer will, darf natürlich auch das.
Plötzlich sehe und höre ich Dinge, die ich vorher nicht wahrgenommen habe.
Angelehnt an einen Baum spüre ich nach einer Weile tatsächlich, dass mein Puls ruhiger wird und die Geräusche um mich herum intensiver. Es riecht würzig. Mein Blick folgt einem Blatt, das lautlos zu Boden tanzt. Ich höre nur den Wind in den Baumkronen, Vogelstimmen mischen sich dazu, die ich vorher nicht wahrgenommen habe.
Hier und dort ein Knacken. Eine Spinne wirft Fäden von Ast zu Ast und beginnt kunstvoll, ein Netz zu weben. Erstaunlich schnell vergeht die halbe Stunde, bis der Kuckuck erneut zum Aufbruch ruft.
Damit das Waldbadeerlebnis möglichst lange anhält, bekommt jeder ein kleines Säckchen, in dem er seine Fundstücke mit nach Hause nehmen kann – eine bunte Mischung aus Blättern, Eicheln, Moos und Zapfen.
Waldbaden kann man das ganze Jahr über, jede Jahreszeit hat dabei ihren eigenen Reiz. So wie der Wald sich verändert, so ist auch die Stimmung jedes Mal eine andere.
Waldbaden geht zu jeder Jahreszeit
Zu jeder „Wanderung“ gehört eine Rast und dafür hat Frauke nicht nur knusprige Apfelchips mitgebracht, sondern auch eine Geschichte vorbereitet, die von einem Baum handelt, der sich am falschen Ort fühlt. Alles ist eine Frage der Perspektive, mit dieser Erkenntnis geht unsere Waldbaderunde langsam zu Ende.
Beim nächsten Besuch im Wald werde ich mich daran erinnern und sicher nicht nur einmal stehenbleiben und lauschen.
Auswahl an Waldbaden-Angeboten in Baden-Württemberg:
Nordschwarzwald: 3-Stunden-Tour in Warmbronn mit Frauke Grötz, Kursleiterin für Waldbaden und Achtsamkeit im Wald, Tel. 07224-68535 oder 0151-2153683, E-Mail: fgroetz-gaggenau@gmx.de
Exkursionen in Bad Wildbad mit Reno von Buckenberg, Zertifizierter Naturführer und Waldtherapeut, Termine: jeden ersten Mittwoch und Sonntag im Monat von April bis November, Tel. 07081-9527530, schwarzwalddeluxe.de/waldbaden
Hochschwarzwald: 7 km Rundwanderweg „Wäldersinn“ in Grafenhausen-Rothaus mit Erlebnisstationen für alle Sinne.
Termine für geführte Touren und mehr Informationen gibt’s auf der Website des Tourismusverbandes: www.schwarzwald-tourismus.info/entdecken/Wellness-Urlaub/waldbaden
Bodensee: In Gehrenberg bietet Cornelia Rick rund zweistündiges “Waldbaden für Frühaufsteher” an und ab 2019 ein Halbtages-Programm. Infos und Anmeldung unter www.waldbaden-gehrenberg-bodensee.de/waldbaden-shinrinyoko