Der Sturm tobt. Seit Stunden schon, es ist gespenstisch dunkel, Fensterscheiben gehen zu Bruch. Sirenengeheul. Und dann kommt das Wasser. Von allen Seiten gleichzeitig. Reißt Häuser, Tiere und Menschen mit. Gegen die raue Nordsee haben sie keine Chance. Jetzt gilt es nur noch, das nackte Leben zu retten.
Ich stehe im Warmen und Trocknen – und bin emotional berührt. Was ich in der Delta Experience gerade erlebt habe, ist eine sehr gut gemachte 360-Grad-Inszenierung der Flutkatastrophe, die 1953 über Zeeland hereinbrach. Die letztlich den Ausschlag gab für den Bau der Delta Werke, um das Gebiet zu schützen. Für mindestens 200 Jahre, da ist Naturführer Jan sicher. Auf unserem Rundgang durch den Deltapark Neltje Jans erklärt er, wie die Wehre funktionieren und wie sich Flora und Fauna in der Oosterschelde seitdem entwickeln.
Ursprünglich sollte es einen großen Damm geben. Doch Naturschützer liefen Sturm, denn dann wäre die Oosterschelde ein toter See geworden. So bauten sie mehrere offene Wehre mit insgesamt 62 Schotten. Steigt die Nordsee um etwa drei Meter an, werden diese geschlossen. Zum letzten Mal war das 2014 nötig.
Schutz und Wunder der Technik: Delta Werke Flutwehre
Wo wir heute stehen im Deltapark, entstand 1960 der erste Damm. Zunächst musste eine Arbeitsinsel gebaut werden, Neeltje Jans, um die gegenüberliegende Seite zu erreichen. Dreißig Meter Höhe misst der kleinste Pfeiler und wiegt 18.000 Tonnen. Es sollte noch bis 1986 dauern, ehe der letzte Damm fertig war. Im Inneren des Wehres informiert eine Ausstellung über den Aufwand, der hinter diesem Mammutprojekt steckt. Über uns donnert währenddessen der Verkehr.
Seepferdchen, Regenpfeifer und Meeresgemüse leben im Naturpark Oosterschelde
Durch Ebbe und Flut strömen täglich 900 Millionen Kubikmeter frisches Nordseewasser durch die Wehre. Die Oosterschelde ist eines der saubersten Gewässer Europas und heute der größte Naturpark der Niederlande. Unzählige Vogelarten leben hier, zum Beispiel Stelzenläufer und Regenpfeifer. Andere machen hier einen Stopp auf ihrem Flug in den Süden, wo sie überwintern. Die Priele hinter den Deichen sind ideale Rückzugsgebiete und Rastplätze während der Ebbe, wenn viele Sand- und Schlickflächen trocken liegen.
Auch Köche finden einen gedeckten Tisch voller Meeresgemüse wie Queller, Strandaster und Echter Meerkohl. Hornhecht, Sardelle und Aalmutter bringen in der Oosterschelde ihre Jungen zur Welt. Es gibt Seepferdchen und kleine Tintenfische, die extra von der englischen Südküste kommen, um sich hier zu paaren und sogar Korallen. Für die Fischer ist die Oosterschelde der ideale Platz, um Miesmuscheln zu züchten, die im geschützten Wasser heranwachsen.
Mit etwas Glück kann man Seehunde und Schweinswale vom Ufer aus beobachten, erzählt Jan. Wir könnten auch tauchen und die Vielfalt unter Wasser bestaunen. Doch dann müssten wir mehr Zeit im Park verbringen.
Heute bleibe ich lieber an Land und genieße den Blick auf’s Wasser.
Deltapark Neeltje Jans Eiland Neeltje Jans,
Faelweg, Vrouwenpolder, www.neeltjejans.nl
Meine Reise wurde unterstützt von VVV Zeeland und NBTC.
4 Kommentare
Ein interessanter Bericht, Antje. Wir waren in den letzten Jahren mehrfach in Holland unterwegs, und immer hat das Meer und die Trockenlegung bestimmter Regionen eine große Rolle gespielt. Schon erstaunlich, was man mit moderner Technik alles steuern kann. Das ist bestimmt ein sehenswertes Besucherzentrum.
Man kann einen ganzen Tag dort verbringen, je nachdem, was einen interessiert. Ich hätte mir auch gern noch die Seehundekolonie angesehen, hab das aber leider nicht geschafft.
Neeltje Jans – eine schöne Impression gibst Du uns von dem was einst nach einem kollektiven Trauma entstand. Mein Mann ist Niederländer und “1953” ist hier in NL eine echte “Kennzahl”. Ich bin schon öfter über die Wehrbrücke gefahren, habe es aber noch nie in die Ausstellung geschafft. Das muss ich auf jeden Fall einmal nachholen.
Lohnt sich auf jeden Fall, nicht nur die technische Seite. Vor allem die Delta Experience hat mich beeindruckt.