Eine Schiffskreuzfahrt? Nee, das ist nix für mich. Das klingt nach Pauschalreise und Clubatmosphäre. Vor Jahren habe ich sogar mal eine Buchung auf der Aida (spontan nach einer Schwärmerei von Bekannten getätigt) in letzter Minute panisch storniert. Ich hatte tags zuvor eine TV-Kreuzfahrt-Reportage gesehen.
Und jetzt kommt die Einladung der Reederei Tallink Silja. Ob ich Lust hätte auf eine kleine Ostsee-Kreuzfahrt? Nun ja, das wäre dann wohl der richtige Moment, mein bestehendes Vorurteil zu hinterfragen.
Ich buche einen Flug nach Stockholm und mache mich samt Mann, kleinem Gepäck und großer Neugier auf den Weg.
Das Reizvolle an einer Kreuzfahrt ist ja, verschiedene Orte zu sehen, ohne das Hotel zu wechseln. Jeden Morgen in einer anderen Stadt aufwachen und das Ganze ohne Transfer-Stress. Bei Tallink Silja kann man sich seine eigene Route aus verschiedenen Überfahrten selbst zusammenstellen. Die Schiffe sind keine klassischen Kreuzfahrtschiffe, sondern eher Kreuzfahrtfähren, die unter anderem zwischen Stockholm, Tallinn, Riga und Helsinki im Linienverkehr unterwegs sind.
Noch etwas anderes reizt mich, diese Mini-Kreuzfahrt auszuprobieren. In letzter Zeit verspüre ich immer öfter den Wunsch, langsamer zu reisen. Eindrücke sacken zu lassen, bevor die nächsten auf mich einströmen. So wie wir heute oft unterwegs sind, mit dem Auto oder dem Flieger, ist dies kaum möglich. Mit dem Schiff vielleicht eher. Die Passage von Stockholm nach Tallinn dauert immerhin rund 17 Stunden. Genug Zeit, um auch in Gedanken am nächsten Reiseziel anzukommen. Vor allem aber ausgeruht.
Protokoll einer Nacht auf See
15.30 Uhr Boarding
Zum Hafen Värtahamnen nehmen wir die U-Bahn. Der Checkin ist unkompliziert, ohne den ganzen Security-Tanz, den man vom Flughafen kennt. Einfach Reservierung und Pass vorlegen, Ticket entgegennehmen, schon kann es los gehen – direkt vom Terminal über eine Brücke ins Schiff. Wir hatten reichlich Zeit eingeplant und nutzen die zwei Stunden vorm Ablegen, um uns auf dem Schiff in Ruhe umzusehen.
Erster Eindruck: Es fühlt sich gar nicht an wie ein Schiff, eher wie ein Hotel. Teppichboden, lange Gänge mit den Kabinen, mehrere Restaurants, ein Shop und sogar eine Sauna gibt es an Bord. Nur das viele Messing im „Treppenhaus“ und die Geländer überall lassen Schiffsatmosphäre aufkommen. Nach und nach füllt es sich, an der Rezeption stauen sich Passagiere, die Hilfe bei der Orientierung benötigen.
Elf Decks plus Kapitänsbrücke zählt die MS Romantika, Deck fünf bis neun sind für die Passagiere zugänglich.
Unsere Kabine liegt außen auf Deck 8, zweckmäßig eingerichtet mit Klappbett und Sofa, Spiegel, Hocker, kleinem Bad und Fenster. Hier oben sind kaum Geräusche vom Schiff zu hören, nur ein leichtes Vibrieren der Motoren spüren wir manchmal.
Der Plan für den Abend verspricht das volle Entertainment-Programm: Weinprobe im Shop, Bingo in der Bar, Fußball-TV im Pub, brasilianische Akrobatik im Showpalast. Wem das nicht reicht, kann bis sechs Uhr morgens in die Disko.
16.30 Uhr Champagner an der Bar
Noch eine halbe Stunde bis zum Essen. Wir haben im Buffetrestaurant einen Tisch gebucht und sind angehalten, pünktlich zu sein, da es zwei Durchgänge gibt pro Abend. Bis zu 1.200 Gäste essen dort, das will gut organisiert sein.
Aber erstmal an die Bar auf einen Aperitif. Die Preise sind zivil, da darf es gern ein Glas Champagner sein, um auf unsere erste Kreuzfahrt anzustoßen.
17.00 Uhr Das Buffet öffnet
Langsam macht sich Unruhe breit vor dem Restaurant, der erste Essensdurchgang bläst zum Sturm auf das Buffet. Die zwei Stunden, bis die nächsten Gäste kommen, wollen schließlich gut genutzt sein.
Pünktlich halb sechs legt die MS Romantika ab. Einen Fenstertisch konnten wir nicht ergattern, aber doch immer wieder einen schönen Blick auf den Schärengarten vor Stockholm mit seinen tausenden Inseln. Auf manchen steht nur ein Haus, andere sind unbewohnt. Bis zur offenen Ostsee wird es noch fast zwei Stunden dauern, so dass wir nach dem Essen noch von der Reling aus die Landschaft erleben können.
Das Buffet ist so reichlich wie vielseitig, nachgelegt wird permanent. Zur Auswahl stehen verschiedene warme und kalte Gerichte – von asiatisch bis nordisch mit baltischem Hering in allen Varianten. Und doch hat das Ganze Treiben um uns herum ein bisschen was von Panik auf der Titanic. Wenn schon untergehen, dann mit vollem Bauch. Vielleicht verstehe ich aber auch nur das Wesen solcher Buffets nicht so ganz.
Deutlich entspannter geht es in den anderen Restaurants zu, beispielsweise im Grillhouse, in dem wir auf der Rückfahrt saftige Steaks und argentinischen Rotwein genießen.
20.00 Uhr Seeluft tanken
Pub und Sportsbar füllen sich, im TV läuft Fußball und der Tischkicker ist nonstop belegt. Auf dem Sonnendeck bläst es jetzt ordentlich, Möwen schreien, Nieselregen hat eingesetzt. Wir sind die Einzigen hier draußen. Kein Land mehr in Sicht, aber es ist noch hell. Das Wasser hat eine leichte Dünung, die Luft ist klar und salzig.
20.25 Uhr Shopping
Der Bordshop auf Deck sechs öffnet pünktlich beim Ablegen und lockt mit zollfreiem Einkauf von Wein, Spirituosen und Zigaretten, sehr attraktiv für die Skandinavier an Bord. Kann man ja mal reinschauen. Der Mann fragt schon bald, wie lange das noch dauert, wenn ich doch eigentlich nichts kaufen will.
21.00 Uhr Showtime
Auf dem Schiff ist es bereits eine Stunde später, also 22 Uhr, es gilt estnische Zeit. Die Show beginnt, brasilianische Akrobatik und Comedy. Später wechseln wir vom Showpalast in die Seaside-Bar mit Live-Musik à la Buena Vista Social Club. Der Sound, die fast schon private Atmosphäre, die stimmgewaltige Solistin treffen ganz unseren Geschmack. Hätten wir gleich hergehen sollen.
Währenddessen gleitet die MS Romantika in den Sonnenuntergang. Für einen Moment glüht das Wasser wie flüssiges Gold, an der Stelle, an der die Sonne versinkt. Wie passend der Name des Schiffes doch ist.
Was ist das? Ein leichtes Schwanken, mir ist leicht schwindlig. Doch nicht die Drinks sind schuld, das Schiff rollt ein wenig. Im Seemannsgang kommen wir in unsere Kabine. Lustig.
23.00 Uhr Bett oder Disco
Wir sind müde, der Tag war lang. Eigentlich wollten wir noch kurz in der Disco vorbeischauen, aber der DJ legt erst ab 23.30 Uhr auf. Also doch lieber ins Bett. Das Schiff liegt wieder ganz ruhig im Wasser und wir schlafen schnell ein. Die Nacht ist kurz, bereits gegen drei Uhr wird es wieder hell. Zwischenstopp im finnischen Åland. Ich drehe mich noch mal um.
7.00 Uhr Frühstück mit Meerblick
Mit der Nacht hat sich auch das schlechte Wetter verzogen, die Sonne strahlt vom Himmel. Gut gelaunt und ausgeschlafen frühstücken wir in aller Ruhe. Wer keine Lust auf das große Buffet oder wenig Hunger hat, kann auch in der Cafeteria mit einem Kaffee in den Tag starten.
10.00 Uhr Einlaufen in Tallinn
Wir sind bereits in der Tallinner Bucht, das Schiff wird langsamer. Vom Sonnendeck aus sehen wir die grüne Landschaft, dann die Silhouette der Tallinner Altstadt mit ihren mittelalterlichen Türmen, die wir später an diesem Tag erkunden. Das Meer ist spiegelglatt, nur die Spur hinter dem Heck ist noch lange im Wasser zu sehen. Auch die Möwen haben sich wieder eingefunden und hoffen auf ein paar Krümel vom Buffet. Ich mag es, wie sie lachen.
Pünktlich legt die MS Romantika im Hafen an, butterweich, als ob es ein Gummiboot wäre. Disembarkation is on deck five, schallt es aus dem Lautsprecher. Vor den Fahrstühlen stauen sich Koffer samt ihren Trägern.
Wir haben Zeit.
Drei Tage werden wir in Estland verbringen, mit dem Auto an der Küste entlang fahren und dann mit dem Schiff zurückkehren nach Stockholm.
Vielleicht nicht zum letzten Mal. Ich kann es mir gut vorstellen.
Info:
Bei Tallink Silja kann man sich seine Wunschreise auf der Ostsee via Baukastensystem selbst zusammenstellen, mit oder ohne Hotel in den jeweiligen Städten, zum Beispiel als 4-tägige Minikreuzfahrt Stockholm – Tallinn inklusive einer Übernachtung in Tallinn. Die Anreise erfolgt mit dem Flugzeug oder mit dem eigenen PKW, den man auch mit an Bord nehmen kann. Routen und Preise auf www.tallinksilja.de.
Meine Reise wurde unterstützt von Tallink Silja.
6 Kommentare
Schöner Beitrag
Dankeschön 🙂
Tallin steht auch auf unserer Outdoorliste und sicherlich dann auch mit einer „Kreuzfahrtfähr-Überfahrt“.
Kann ich nur empfehlen, ist sehr entspannt.
Die Schlacht am Buffet haben wir im vergangenen Jahr auch erlebt. Allerdings nicht auf jedem Schiff unserer Mini-Kreuzfahrt auf der Ostsee. Wenn das Schiff weniger voll ist, ist offenbar das Gedrängel ums Essen geringer.
Auch für uns war das sicher nicht die letzte Kreuzfahrt – sei es mit den Kreuzfahrtfähren auf der Ostsee oder einem „richtigen“ Kreuzfahrtschiff. Nur zu elegant braucht es nicht zu sein.
Zum Glück gibt es ja mehrere Restaurants auf dem Schiff, wenn man Buffets nicht so mag. Und dort war es auch deutlich weniger voll. Einen Tisch sollte man trotzdem reservieren, damit man nicht warten muss. Ansonsten kann man aber auch spontan entscheiden.