Hello Sister, wo seid ihr? ruft Thembi ins Telefon. Sorry, sind gleich da. Das Navi weiß nicht mehr so richtig weiter. Straßen haben in Kayamandi keine Namen, oder besser, keine Schilder. Das letzte Stück zum Treffpunkt fragen wir uns durch.
Kein Problem, Thembi erwartet uns bestens gelaunt, posiert sofort für’s Handyfoto mit ihrem schwarzen “I love Kayamandi”-T-Shirt. Sie verdient ihr Geld als Guide, führt Leute durch ihr Leben in Kayamandi, einem Township in Stellenbosch.
Die ersten 120 Häuser wurden 1920 gebaut vom Staat, solide aus Stein, mit Wasser- und Stromanschluss. Gedacht als vorübergehendes Domizil für die Arbeiter vom Eastern Cape, die in Stellenbosch einen Job gefunden hatten. Ein Haus für lau, so was spricht sich schnell herum, auch wenn es längst nicht mehr so einfach ist, einen Platz auf der Warteliste zu ergattern. Es kommen immer mehr, der Platz reicht hinten und vorn nicht aus. Wer dennoch bleibt, flickt sich notdürftig eine Wellblechhütte zusammen, oft ohne Strom und Wasser. Mit Löchern im Dach, brütend heiß im Sommer. Es gibt ein paar Sammeltoiletten, den Schlüssel teilt man mit den Nachbarn.
55.000 Menschen leben in Kayamandi.
Thembi ist eine von ihnen, 37 Jahre alt, eine Tochter, aber keinen Mann. Zu faul, wie sie selbst sagt, sie könne kaum kochen und hätte auch wenig Lust darauf, sein Haus zu hüten und zu putzen. Sie ist in Kayamandi geboren, kennt fast jeden hier. Woanders zu leben, kann sich Thembi nicht vorstellen. Jamaika, ja das wäre noch so ein Traum, wenn sie eine Million im Lotto gewinnen würde, vielleicht. Aber sie würde wieder nach Hause kommen. In der Community fühlt es sich nicht so einsam an wie in der Stadt.
Zwischen den Hütten spielen zwei Mädchen Familie und füttern kichernd ihre Puppe. Vor allem am Wochenende spielt sich das Leben im Freien ab, man sitzt zusammen, redet, trinkt Bier. Abends wird ein Feuer gemacht und gegrillt. Ähnlich wie bei uns im Sommer … nein, mit unserer Komfort-Welt hat das wenig zu tun.
Fehlende Jobs, Armut, Alkohol hinterlassen Spuren. Die meisten versuchen dennoch, sich in Kayamandi so gut einzurichten, wie es eben geht. Schicken ihre Kinder in die Schule, Bücher und Schuluniform erhalten sie kostenlos; für minderjährige Mütter haben sie einen Kindergarten einrichtet. Bauen Gemüse an vorm Haus, das spart Geld für teure Lebensmittel. Fleisch gibt’s nur am Sonntag.
Thembi ist schon voraus gegangen, ich fotografiere noch, laufe prompt in die falsche Richtung. Ein junger Betrunkener stolpert auf mich zu. Will mich immer wieder umarmen und folgt mir. Andere gesellen sich dazu, erst nach einem Gruppenfoto sind alle zufrieden.
Überall flattert bunte Kleidung auf der Leine. Es ist windig heute, ein guter Tag zum Wäschewaschen. Auf dem zentralen Waschplatz ist kaum ein Becken frei. Wer kein fließend Wasser im Haus hat, muss hier her kommen, wo die Gassen nicht mehr asphaltiert sind. Und manchmal nur noch ein 50 Zentimeter breiter Streifen Lehmboden die Hütten trennt.
Wie kann man so leben, ohne zu verzweifeln? Der Gedanke bleibt unausgesprochen.
Sie versuchen, ihr Zuhause so gemütlich zu machen wie möglich: Sofa und Fernseher gehören dazu. Ein schmaler, kleiner Mann bittet uns herein. Thembi stellt ihn als früheren Nachbarn von Nelson Mandela vor. Zwei ältere Frauen und der Sohn schauen ein Fußballspiel, das Bild voller Gries, wenn überhaupt eins da ist. Strom muss vorab bezahlt werden mit einem Chip. Bis zu zehn Menschen teilen sich einen Raum, Platz ist nur für ein Doppelbett im kleinen Nebenraum. Das ist für die Alten reserviert, die Jüngeren schlafen auf dem Boden.
Zeit für ein Bier, meint Thembi. Die Frauen brauen es selbst, nach alter Tradition: wenig Alkohol und sauer-hefig im Geschmack.
Jimmy hat nie eine Schule besucht. Heute hat er eine eigene Werkstatt und töpfert seit 40 Jahren. Die kleinen Kunstwerke verkauft er an Besucher, eine Schale für 150 Rand. Kein schlechtes Einkommen für Kayamandi-Verhältnisse. Er hat sich das Handwerk selbst beigebracht und demonstriert uns sein Können. Wir kaufen ihm ein paar Sachen ab, nicht rein aus Höflichkeit, die Schalen sehen wirklich hübsch aus.
Im Zentrum von Kayamandi lebt Mama Swartbooi. Mit über 80 Jahren liebt sie es noch immer zu kochen. Das hat sie ihr ganzes Leben lang getan, erst im Krankenhaus, später an der Universität in Stellenbosch. Heute betreibt sie ein Homestay und erzählt bei Chakalaka und selbst gebackenem Brot ihre Geschichte. Wie sie 1959 von Richmond nach Kapstadt kam als Babysitter und später nach Stellenbosch ging, um zu heiraten. Das große Steinhaus gehört ihr, sie hat es vor vielen Jahren von ihrem Schwiegervater geerbt. Dass er das Haus nicht seinem Sohn gab, war damals eher ungewöhnlich. Als sie die Besitzurkunde bekam, sagte man zu ihr: Du musst nie mehr wegrennen vor der Polizei, du hast einen Pass, du hast ein Haus. Du bist jetzt eine glückliche Frau.
Vor allem ist sie eine weise Frau, auch wenn sie nie eine Schule sah. „Ich bin nicht gebildet, aber ich beobachte die Leute, lerne aus den Fehlern anderer, indem ich sie selbst nicht mache.”
Das Essen schmeckt köstlich.
Rundgänge in Kayamandi können als Bites & Sites Cultural Food Tours (mit und ohne Kochkurs) über die Stellenbosch 360 Touristinformation gebucht werden, Dauer: 3 – 3,5 Stunden, Kosten: ab 395 ZAR. Mehr Infos: Bites & Sites
Die Recherche für diesen Artikel wurde unterstützt von Stellenbosch American Express Wine Routes.
4 Kommentare
Hallo Antje,
ein toller Beitrag und wunderschöne Fotos. Wenn du damit an meiner Blogparade teilnehmen möchtest, verlinke bitte noch den entsprechenden Artikel über die Blogparade meines Blogs, damit ich dich in die Liste aufnehmen kann. 🙂
Herzlich,
Anna