Tag vier: Rendezvous mit den Eringer Damen. Die schwarzen Kampfkühe im Val d’Anniviers (eigentlich stammen sie aus dem Val d’Herens) wechseln heute die Sommerweide. Valérie vom Sierre-Anniviers Marketingbüro holt mich am Morgen mit dem Auto im Hotel ab. Wir wollen nach Ayer zur Mi-été, einem Mix aus Alpaufzug und Alpabzug.
Es ist noch früh, deshalb schlägt sie vor, zuerst einen Stopp in Chandolin einzulegen. Mit knapp 2.000 Metern ist es eines der höchstgelegenen Dörfer Europas, das ganzjährig bewohnt ist. Typische Walliser Lärchenhäuser, deren Holz im Laufe der Jahrzehnte schwarz wird, kleben am Hang. Die Morgensonne zerreißt letzte Dunstfetzen der Nacht, die aus dem Tal heraufwabern. Oberhalb der Dorfkirche gibt ein kleines Plateau den Blick frei ins Anniviers-Tal. Himmlisch ruhig ist es. Wieder so ein Ort, an dem mir ein: ‘Würde ich gern noch mal herkommen!’, entfährt.
Vielleicht zum Wandern. Vielleicht auch nur zum Sitzen und Gucken.
Auf 2.000 m und auch im Winter bewohnt: Chandolin
In Chandolin findet einmal im Jahr, an Maria Himmelfahrt, der kulinarische Markt statt. Kleine Produzenten aus den umliegenden Dörfern verkaufen selbst gemachte Spezialitäten der Region: Walliser Roggenbrot, Honig, Ziegenkäse … mein Rucksack füllt sich schnell. Noch eine Maiensäss-Suppe und einen Heidelbeerkuchen essen, dann müssen wir los.
Im Dorf sagen sie, die Eringer Kühe sind oben auf der Nava-Alp, etwa 15 Minuten entfernt. Sechs Kilometer sagt ein Straßenschild. Kehre folgt auf Kehre, hinter jeder Kurve fünf weitere. Ob wir noch richtig sind? Die Straße längst eine Buckelpiste. Mal gähnt der Abgrund links neben dem Seitenspiegel, mal rechts, während unser Auto aufwärts schaukelt. Der Weg wird schmal, jeder Gegenverkehr (gibt es auf der Alp erstaunlich viel) mündet in ein Rangiermanöver. Wir sind auf etwa 2.400 Meter Höhe. Umgeben von saftig-grünen Almwiesen; Felsbrocken liegen herum, als ob eben noch Riesen damit gespielt hätten. Nur keine Rinder.
Nach gefühlten zwei Stunden (tatsächlich fast 40 min), schier endlosen Serpentinen in den Walliser Bergen stehen sie vor uns: die Eringer Kühe. Schwarz, stark, das dicke, verzierte Lederband mit der Glocke um den Hals – und offensichtlich bereit, für die Kamera zu posieren. Zum Kämpfen sind sie gerade nicht aufgelegt, der Umzug hat hungrig gemacht, zu lecker schmeckt das frische Grün.
Ich werde mutig und gehe auf die freundlichste Kuh zu – sie ignoriert mich. Immerhin bekomme ich nicht ihre Hörner zu spüren. Eine andere (ihre Freundin?) trabt geradewegs auf mich zu, etwas mulmig wird mir jetzt doch. Kein Grund zur Panik, die schwarze Schöne interessiert sich lediglich für das Himmelblau meiner Jacke.
Links neben mir mampft eine alte Kuh, schätzungsweise zwölf Jahre alt ist sie. Das beste Alter, um Trockenfleisch zu produzieren, erzählt der Metzger. Ob sie das ahnt, frage ich mich. Wenn es soweit sein sollte, hatte sie jedenfalls besseres Leben hier oben auf der Alp hinter sich als die meisten ihrer Artgenossen.
Ringkampf der Königinnen
Vielleicht ist sie eine Königin. Zu der wird gekrönt, wer während der Weidesaison die meisten Kämpfe gewonnen hat. Für ihre Besitzer sind die Kühe das, was anderen der Fußball ist: Lebensinhalt. Kämpfen liegt in der Natur der Eringer Rinder und meist geht es ohne Verletzungen ab. Die Kuh, die kämpfen will, sucht sich eine Gegnerin und fordert sie heraus – Kopf an Kopf drücken und schieben sie sich. Wendet sich eine ab, hat die andere gewonnen.
Bis zu 30.000 Franken ist eine Königin wert, immer noch rund 2.000 Franken bringt ein Kälbchen, also die Prinzessin, dem Bauern ein. Die Sache mit den Eringer Kühen ist nicht nur eine Attraktion, sondern für einige auch ein gutes Geschäft.
Die meisten, die zur Mi-été gekommen sind, haben sich inzwischen um den Kupferkessel überm Feuer geschart, aus dem Polenta dampft. Jean-Maurice von der Fromagerie im Dorf und jetzt der Raclette-Meister der kleinen Fête ist froh, dass der Weidewechsel so reibungslos geklappt hat. Heute Morgen noch gab es Schnee auf der Nava Alp.
Und jetzt: strahlender Sonnenschein, unter uns die Wolken. Das Kuhglockengeläut verschwimmt zu einer ganz eigenen Melodie, wie sie nur auf der Alp spielt.
Die Reise wurde unterstützt von Valais Promotion und auf dieser Etappe von Sierre-Anniviers Marketing.