Wie im Dampfbad hängen die Nebelschwaden im Tal, doch es sieht besser aus als gestern Abend. Die Regenprognose: halb und halb. Mit jedem Meter Richtung Brig wächst die Hoffnung, dass es zumindest trocken bleibt. Mein heutiges Ziel ist der Aletschgletscher – mit (noch) 23 Kilometern einer der längsten in Europa. In Betten tausche ich den Zug gegen die Gondel. Knapp 1.400 Höhenmeter später auf der Bettmeralp treffe ich Simon, dessen Büro direkt in der Bergstation der Seilbahn liegt; übrigens mit einer irren Aussicht vom Schreibtisch aus. Mit seinen Tipps und wetterbedingten Varianten für meine geplante Tour mache ich mich auf den Weg zum Bettmerhorn.
Faszinierende Eiswelt am Aletschgletscher
Der Unesco-Höhenweg vom Bettmerhorn zum Eggishorn wird wohl nichts werden, die Panoramawanderung entlang des Aletschgletschers bis zur Riederfurka sollte aber bei jedem Wetter gehen, sagt Simon zuversichtlich.
Doch dann das: Keine zehn Meter Sicht, rutschige Felsen und Eisniesel empfangen mich auf 2.647 Meter Höhe. Kein Mensch weit und breit. Fast schon trotzig folge ich dem Schild zur Eisterrasse. Vielleicht ist ja doch ein kleines Stückchen …
Nein. Nicht mal ansatzweise kann man das Panorama erahnen, das sich normalerweise an dieser Stelle bietet. Nämlich dieses:
Nicht mein Tag. Mist.
Etwas niedergeschlagen besuche ich die Eiswelt, eine Multimedia-Ausstellung rund um den Gletscher – sehr sehenswert übrigens.
Am Konkordiaplatz, im Herzen des Gletschers, ist das Eis über 900 Meter dick, erfahre ich. Und noch mehr Fakten: Etwa 200 Meter bewegt sich der Gletscher im Jahr, aber nicht gleichmäßig. Am Bettmerhorn fließt er mit 80-90 Metern jährlich deutlich langsamer. Es dauert mehr als zehn Jahre bis aus einem Meter Neuschnee ein Zentimeter Gletschereis entsteht. Andererseits verliert der Aletschgletscher an einem heißen Sommertag bis zu 20 Zentimeter an Höhe, das entspricht 60.000 Litern in einer Sekunde. Überhaupt macht die Wärme dem Eisriesen zu schaffen: Der Aletschgletscher zieht sich pro Jahr zwischen 30 und 75 Meter zurück.
Ein Grund mehr, ihn jetzt zu besuchen.
Da ich schon mal hier bin, habe ich mir einen Stein ausgesucht, einen Wunsch drauf geschrieben und in einen der Körbe an der Bergstation geworfen. Glückssteine am Großen Aletschgletscher, die Aktion haben sich die Leute der Aletsch Arena ausgedacht, um Gästen unbeschwerte Glücksmomente zu bescheren. Frei nach dem Motto: Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Damit das Ganze nicht symbolisch bleibt, sollen die Steine wieder sinnvoll in der Natur eingesetzt werden. Wie, wird derzeit diskutiert.
Aber gut, wandern lässt sich heute nicht erzwingen. Plan B muss her: wieder runter mit der Seilbahn zur Bettmeralp und mit dem Aletsch-Express, einem Elektrobus, zur Riederalp nebenan.
Der 20-minütige, breite Weg zur Riederfurka lässt sich auch im Nebel erahnen. Es ist weder warm noch kalt, eher schwül. Ich höre den Klang der Kuhglocken, aber sehe die Kühe nicht. Einsam und zugleich vertraut fühlt sich das an. Wie im Märchenfilm taucht vor mir ein altes englisches Gebäude auf: die Villa Cassel, Sitz des ProNatura-Zentrums. Das Haus wurde 1902 von einem Londoner Bankier gebaut als Sommerhaus. Churchill soll auch regelmäßig da gewesen sein.
Heute informiert eine Multimedia-Ausstellung zum Unesco Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch sowie über ein Thema, das jährlich wechselt. 2014 ist der Bartgeier dran.
Am späten Nachmittag reißt der Himmel auf über der Bettmeralp. Kurz überlege ich, noch einmal hinauf zu fahren für einen Gletscherblick. Doch das hebe ich mir für’s nächste Mal auf. Stattdessen laufe ich zur Kapelle Maria im Schnee und betrachte die Bergspitzen in der letzten Abendsonne. Das ist mein persönlicher Glücksmoment am Aletschgletscher.
Nächste Station morgen: Sierre und Salgesch.
Pro Natura Zentrum Aletsch, Villa Cassel, Riederalp, www.pronatura.ch/aletsch
Meine Wallis-Reise wurde unterstützt von Valais Promotion und auf dieser Etappe von der Aletsch Arena.