Das Große Walsertal ist noch so etwas wie ein Geheimtipp in Vorarlberg: Hier findet man verstreute Bergdörfer, Almen und Artenvielfalt. Ursprünglichkeit und einen Rhythmus, der den Jahreszeiten folgt. Alle zwei Jahre wird das Tal beim Walserherbst zur Bühne, dann treffen Kultur, Tradition und Natur aufeinander.
Stell dir vor, du sitzt mit einem halben Dutzend Fremder in einem Bottich aus Beton. Unter den Füßen glitschiger Lehmschlamm, der Körper treibt fast schwerelos nach oben. Daneben rauscht die Lutz als wilder Fluss durchs Tal. Kein Strom, keine Musik, kein Handyempfang. Nur der Duft von Feuerholz, das das Wasser seit Stunden auf die richtige Temperatur erwärmt.
Ein uraltes Ritual wird hier neu inszeniert: das Schwefelbad an der Lutz, mitten im Wald. Eines von vielen Erlebnissen, die zeigen, warum das Große Walsertal anders ist. Naturbelassen, echt, ohne jeden Lärm – und doch voller Leben.
Unesco Biosphärenpark Großes Walsertal: Natur nutzen, ohne ihr zu schaden
Vor rund 700 Jahren kamen die Walser aus dem Schweizer Wallis und ließen sich in dieser abgeschiedenen Landschaft nieder. Die Sprache der Einheimischen ist bis heute durchzogen von alten Akzenten. Und ihr Lebensrhythmus prägt das Tal: einfach, bodenständig, eng verwurzelt mit den Bergen.
Das Große Walsertal ist seit dem Jahr 2000 als UNESCO-Biosphärenpark anerkannt – eine Auszeichnung, die das schützt, was hier schon immer war: die Balance von Mensch und Natur. Sprache, Kultur und Brachtum werden gelebt, nicht nur bewahrt. Statt großem Rummel gibt es kleine Pensionen, statt Après-Ski die Aussicht von einer Bank am Waldrand. Und nein, langweilig ist es hier mitnichten.
Die Häuser stehen weit auseinander, die Wege sind steil, der Humor ist rau. Die Glocken läuten zum Feierabend. Und wenn jemand stirbt. Übers Wetter wird nicht aus Höflichkeit geredet, sondern weil vieles davon abhängt.
Walserherbst, das steilste Festival der Alpen
Ein ganzes Tal als Bühne: Seit 2004 verwandelt sich das Große Walsertal alle zwei Jahre für drei Wochen in einen Kulturraum, wie es ihn in dieser Form kaum woanders gibt. Der Walserherbst ist kein Festival im klassischen Sinn. Keine große Bühne, keine Massen, keine Bierzelte.
„Das steilste Festival der Alpen“ nennt sich der Walserherbst augenzwinkernd – und tatsächlich bedeutet ein Veranstaltungsbesuch oft auch, dass man ein Stück bergauf laufen muss. Ob Musik, Theater, Lesungen, Ausstellungen, das Programm spielt an den unterschiedlichsten Orten auf: in einer Kirche, auf einer Almhütte, auf einer Bergwiese, in einem alten Stadel.
Wer das Tal kennt, erlebt beim Walserherbst eine neue Dimension. Wer nicht, findet kaum einen besseren Moment, einzutauchen.
Wie anno dazumal: Schwefelbad am wilden Fluss in Buchboden
Buchboden, das kleine Dorf ganz hinten im Großen Walsertal. Unten am Fluss Lutz gibt es ein Ritual, das die Zeiten überdauert hat: das Bad im großen Bottich. Zum Walserherbst wird es neu interpretiert – mit heißem Lehmschlick statt Wasser. Ein Holzfeuer heizt den Bottich bis zu 18 Stunden lang, dann hat das Wasser die richtige Temperatur von 38 Grad Celsius. Fließend warmes Wasser? Strom? Gibt es nicht hier draußen. Aber ganz viel Spaß. Jomo, der Bader, führt uns kurz in das Ritual ein.
Dann schnappt sich jeder einen Handschuh, gründliche Reinigung ist Pflicht, schließlich wird das Wasser noch für ein paar Durchgänge gebraucht. Einer nach dem anderen steigen wir in den etwa zweieinhalb Meter großen Bottich. Huch, das ist glitschiger als gedacht. Und auch hinsetzen ist beinahe unmöglich. Wie im Toten Meer treibt alles nach oben. Ich muss mich am Rand festhalten, um nicht zu schweben, denn dafür ist kein Platz. Berührungsängste sollte man trotzdem nicht haben.
Ein seltsam wohliges Gefühl: der Körper scheint schwerelos zu sein. Der Lehm klebt und wärmt zugleich. Wer aussteigt, sieht aus, als wäre er in Flüssigkreide gefallen.
Ein Schlauch dient als Dusche (eiskalt und der kalte Wind tut ein übriges), dann kurz in das Becken der Schwefelquelle tauchen. Ich stinke anschließend wie ein faules Ei, aber was tut man nicht alles für seine Gesundheit. Jetzt schnell zum Aufwärmen in den – was für ein Luxus – zur Sauna umfunktionierten Schäferwagen, den ein Holzofen auf wohltuende 80 grad bollert.
Wer will, macht ein paar weitere Durchgänge: Lehmbad, Schwefelquelle, Saunawagen. Die ganz Mutigen steigen zwischendurch in den Fluss. Am Ende sitzen alle glücklich zusammen bei einer Vesper mit Brot, Käse und selbstgekochtem Kräutertee. Drei Stunden dauert das Ritual – ein Erlebnis, das so nur hier stattfindet.
Nach dem Baderitual laufe ich den steilen Weg hinauf nach Buchboden, zurück in den Ort, wo Susanne und Andreas Mayer in der Pension Zum Jäger ausgezeichnete regionale Gerichte servieren. Im Gastraum hängen Geweihe, darunter handschriftliche Notizen zum Jagderfolg. Andreas kocht nicht nur selbst, er jagt auch. Viele Zutaten stammen direkt aus den Wäldern des Tals, wie jetzt im Spätsommer die frischen Pfifferlinge.
St. Gerold – Musik, Kloster und stille Wege
Im unteren Tal liegt die Propstei St. Gerold, ein Ort, der seit Jahrhunderten zum Schweizer Kloster Einsiedeln gehört. Heute ist es ein Haus der Begegnung: Künstler, Musiker, Naturfreunde, Pilger – alle finden hier ihren Platz. Während des Walserherbstes wird die Kirche zu einer klingenden. Die Cello Night mit einem Konzert des Lofoten-Duos begeistert die Besucher in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche. Mein Highlight waren jedoch Klemens und Kilian Erhart, zwei junge Musiker aus dem Tal, die zu Recht am Ende standing ovations bekamen.
Tagsüber ist die Propstei ein Platz zum Verweilen. Hängematten mit Blick auf die Kellaspitze, daneben ein Garten mit Kräutern, Sträuchern und Blumenbeeten.
Der „Weg der Stille“ beginnt unterhalb des Klosters und führt zu 13 Teichen, unterwegs laden Sitzbänke zum Meditieren ein. Man kann aber auch einfach im Klostercafé einkehren, auf der Terrasse sitzen und die Aussicht genießen.
Klangraum Sonntag-Stein: Den Sound der Natur erleben
Das Große Walsertal zählt zu den Bergsteigerdörfern, die sich über die Alpenländer verteilen und einen Rückzugsraum für alle bieten, die weniger Tempo und mehr Naturgenuss suchen. Weniger ist mehr.
Das fängt schon bei der Seilbahn in Sonntag an: zwei kleine Kabinen, die im Wechsel berg- und talwärts schweben. Hier gehts nicht mit Highspeed in die Höhe, das Warten ist Teil des Erlebnisses. Runterkommen, einfach im Moment sein, das gehört im Großen Walsertal dazu. Und genau das macht den Aufenthalt hier so besonders.
Oben angekommen, spazieren wir auf dem Themenweg „Klangraum.Stein“ vorbei an der Rosenkapelle mit bestem Bergpanorama bis zur Echo-Wand. Eine Art Open-Air-Kulturraum mit verschiedenen Installationen, wo Natur und Klang ineinander übergehen. Zum Beispiel im Akustikpavillon am Bach, der die Klänge des Wassers nicht nur aufnimmt, sondern auch verändert. Man sollte sich Zeit nehmen und auf die Schaukeln direkt über dem Wasser setzen.
An Weg liegen ein Abenteuerspielplatz sowie ein überdachter Grillplatz mit gemauerter Feuerstelle, Tisch, Bänken und einem Brunnen mit frischem Quellwasser. Besonders bei Familien mit Kindern beliebt ist der Lehmofen, wo jeder seine eigene Lehmofen-Pizza backt (erhältlich an der Seilbahn-Bergstation). Uns lockt jedoch heute die Seilbahnstuba zur Einkehr auf die Sonnenterrasse.
Auch zum Hüttenwandern eignet sich das Große Walsertal bestens. Die Kulinarische Genussrunde beispielsweise führt von der Bergstation Sonntag-Stein zur Alpe Steris, wo es eine Jausenplatte gibt, über die Breithornhütte mit Käsespätzle-Pause wieder zurück nach Sonntag. Im Biosphärenpark.haus gegenüber der Talstation wartet schließlich das Dessert. Kann man auch spontan machen: Gutscheine für die 12 Kilometer lange kulinarische Wanderung gibt es auch direkt an der Talstation.
Die Wechsel-Ausstellung im Biosphärenpark.haus lohnt sich in jeden Fall und neben Kaffee und Kuchen findet sich im kleinen Laden auch noch ein leckeres Souvenir zum Mitnehmen für zu Hause, beispielsweise den Walserstolz-Bergkäse von den Sennereien im Tal.
Der Walserherbst ist ein Höhepunkt, aber das Große Walsertal lohnt sich zu jeder Jahreszeit zum Wandern und Erholen. Almen laden ein und Begegnungen mit Einheimischen gehören fast selbstverständlich dazu. Von Baden-Württemberg aus ist das Tal schnell erreicht – und doch eine Welt für sich.
Großes Walsertal – persönliche Tipps und alles Wichtige auf einen Blick
Das Große Walsertal ist ein Geheimtipp für alle, die Ruhe und Langsamkeit suchen. Wer dagegen ein breiteres Angebot an Bergbahnen und Wintersportmöglichkeiten möchte, wird im nahen Brandnertal oder im Montafon fündig.
Wie komme ich ins Große Walsertal?
Mit der Bahn ab Stuttgart via Ulm und Lindau-Reuthin nach Bludenz. Von dort weiter mit dem Bus 560/570 ins Große Walsertal. Mit dem Auto: von Stuttgart aus über die A7 bis Lindau und über Bregenz und Bludenz ins Tal.
Wo kann man übernachten?
Zum Beispiel in der Probstei St. Gerold, St. Gerold, Nr. 29, St. Gerold, probstei-stgerold.at. Weitere Unterkünfte findest du unter www.vorarlberg-alpenregion.at/walsertal/de
Welche Restaurants, Gasthöfe oder Almhütten bieten besonders gute Küche?
- Café und Pension Zum Jäger, Buchboden 5, Sonntag, www.zumjaeger.at
- Klostercafé in der Probstei St. Gerold
- Biosphärenpark.haus Sonntag, Boden 34, Boden-Flecken, www.grosseswalsertal.at/de/biosphaerenpark_haus
Was kann man im Großen Walsertal unternehmen?
- Das Kulturfestival Walserherbst findet alle zwei Jahre statt, jeweils für drei Wochen im Spätsommer. Konzerte, Theater, Lesungen, Ausstellungen und Kulinarik finden an den verschiedenen Orten im ganzen Tal statt, zum Beispiel in Kirchen, im Heustadel oder auf der Alm. Infos & Programm: www.walserherbst.at
- Lutz Schwefelbad: Infos und Buchung beim Verein Wassertal
- Themenweg Klangraum.Stein: Infos und Tourbeschreibung
- Kulinarische Genussrunde Großes Walsertal: Infos und Tourbeschreibung
- Weitere Themenwege im Biosphärenpark Großes Walsertal: Blumen-Wanderlehrpfad in Faschina, Wege zum Wasser in Fontanella rund um den Seewaldsee, Lawinenwege in Blons, Walserweg, Schaukelweg in Fontanella und Seewaldsee
- Weitere Infos unter Biosphärenpark Großes Walsertal sowie auf der Website Großes Walsertal
Transparenzhinweis: Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Vorarlberg Tourismus. Bei meinen Recherchen nutze ich gelegentlich die Unterstützung von Fremdenverkehrsämtern, Tourismusagenturen, Veranstaltern, Fluglinien oder Hotelunternehmen. Dies hat keinen Einfluss auf Inhalt und Umfang der Berichterstattung.