Versteckt zwischen dem Luganer See und dem Comer See liegt das Val d’Intelvi – ein Tal voller Geschichten, die kaum einer kennt. Hier wurden einst Zigaretten über geheime Pfade geschmuggelt, die Polizei jagte ihre eigenen Nachbarn, und heute erinnert in Erbonne ein kleines Schmugglermuseum an diese Zeit.
Zwischen dem Luganer See und dem Comer See liegt ein Tal, das selbst in Italien noch als echter Geheimtipp gilt: das Val d’Intelvi. Wer hier unterwegs ist, trifft nicht auf große Reisebusse oder touristische Massen. Stattdessen warten versteckte Dörfer, spektakuläre Aussichten und Geschichten, die so nur das Leben schreiben kann. Besonders eine Begegnung hat mich nachhaltig beeindruckt – im winzigen Schmugglerdorf Erbonne.
Val d’Intelvi: geheimnisvolles Tal zwischen Luganer See und Comer See
Schon auf dem Weg nach Erbonne zeigt sich das Val d’Intelvi von seiner schönsten Seite. Mein erster Fotostopp: Pian delle Alpi – ein stilles Hochplateau mit fantastischem Blick über die umliegenden Berge. Das Panorama ist atemberaubend: Sasso Gordona, das ehemaligen Kloster San Zeno, das auf 1200 Metern Höhe thront, in der Ferne grüßt der Grigna, der höchste Berg in der Region bei Lecco, fast 2500 Meter hoch und der Comer See.
Vom Parkplatz in Pian delle Alpi führt ein gut gepflegter Wanderweg zum Eremo di San Zeno. Der Weg ist leicht zu folgen und wird durch eine Reihe von Kreuzwegstationen markiert. Der Aufstieg ist moderat, mit einem steileren Abschnitt gegen Ende, der jedoch für die meisten Wanderer gut machbar ist.
Im Val d’Intelvi gibt es auch attraktive Radstrecken für Rennradfahrer und Mountainbiker. Die Region ist besonders bei sportlichen Radfahrern beliebt, da sie anspruchsvolle Anstiege, atemberaubende Ausblicke und abwechslungsreiche Strecken bietet.
Doch mein Ziel ist Erbonne. Ein Dorf, das eigentlich kein Dorf mehr ist.
Erbonne – Katz- und Maus-Spiel in den Bergen
Gerade einmal fünf Menschen leben heute noch in Erbonne. Früher war hier, direkt an der Schweizer Grenze, einiges mehr los – vor allem nachts. Zigaretten, Reis, Lebensmittel – alles, was in Italien teuer oder knapp war, wurde von hier aus über die Berge in die Schweiz geschmuggelt und umgekehrt. Damals bedeutete eine einzige Schmuggeltour ein ganzes Monatsgehalt. Das Risiko war hoch: steile Pfade, dunkle Nächte, Lawinengefahr.
Hier treffe ich Giulio Zanotta, 70 Jahre alt und heute Vizebürgermeister von Erbonne. Früher war er selbst einer von ihnen – ein Schmuggler, wie fast jeder im Dorf. „Tagsüber waren wir Landwirte, haben die Kühe gemolken“, erzählt er mir mit einem verschmitzten Lächeln. „Aber nachts waren wir auf den Schmugglerpfaden unterwegs. Das hat einfach jeder gemacht.“
Es war ein seltsames Katz-und-Maus-Spiel, erzählt er weiter. Die Grenzpolizisten kannten die Schmuggler oft persönlich – man war schließlich Nachbarn, manchmal sogar verwandt. „Mein Cousin war in den 80ern noch unterwegs, mit Maultieren. Die Schweizer haben ihm die Tiere weggenommen – aus sanitären Gründen“, sagt Giulio und lacht. Ein bisschen Stolz schwingt da immer noch mit.
Die Polizei hatte übrigens eine ganz eigene Taktik: Es ging ihnen nicht darum, die Schmuggler zu erwischen. Viel spannender war es, die Ware zu beschlagnahmen – das brachte Ruhm und neue Aufgaben, die Festnahme der Leute war oft Nebensache.
Die Grenzregion war damals übrigens bestens gesichert – allerdings auf sehr analoge Weise: Ein Netz mit Glöckchen sollte die Polizisten warnen, wenn sich nachts jemand durch die Wälder schlich. Doch die Bauern wussten das natürlich – und stahlen die Glocken, weil sie sich durch den Wind ohnehin ständig selbst auslösten.
Vom Schmuggler zum Museumsgründer
Heute kämpfen Giulio und sein einstiger Gegenspieler, der ehemalige Finanzpolizist Angelo Serra (81 Jahre), gemeinsam für den Erhalt dieser Geschichte. Zusammen mit Stefano Agnese (74), einem früheren Kollegen von Angelo, haben sie das Schmugglermuseum im Dorf ins Leben gerufen – ein kleines, liebevoll gestaltetes Projekt, das eigentlich schon beim Dorfrundgang beginnt. Hier gibt es einen alten Waschplatz, schmale Gassen und steinerne Häuser, die von einer längst vergangenen Zeit erzählen. Erbonne selbst ist heute ein lebendiges Freiluftmuseum.
Doch die Dorfidylle erzählt auch von Abwanderung, von der Sehnsucht, ein Stück Geschichte und Identität zu bewahren, die in vielen kleinen Details stecken – von alten Brunnentöpfen bis hin zu verwitterten Türen und Mauern, die von Generationen erzählen. Das stille Dorf steht damit exemplarisch für viele Bergdörfer, die heute mit dem demografischen Wandel ringen.
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Ein Stück Identität: das Bauernmuseum von San Maurizio
Nicht weit von Erbonne lohnt sich ein Abstecher nach San Maurizio. In dem kleinen Bergdorf mit etwa 600 Einwohnern gibt es ein Bauernmuseum, das einen spannenden Einblick in das frühere Leben im Tal gibt. Hier erfahre ich, dass in der Region früher Matriarchat herrschte – während die Männer als Bauarbeiter, Kunsthandwerker oder Architekten im Ausland waren, hielten die Frauen das Leben im Tal am Laufen.
Ein besonderes handwerkliches Erbe: Die Kunst des Scagliola, ein farbiger Stuckmarmor, den die Einheimischen einst mit Kreide herstellten. Bis zu 700 Arbeiter aus dem Val d’Intelvi sollen sogar am Ludwigsburger Schloss in Deutschland mitgearbeitet haben. Ein beeindruckendes Kapitel europäischer Kunst- und Kulturgeschichte, das hier im Verborgenen seine Wurzeln hat.
Das Val d’Intelvi ist nicht nur wunderschön, es ist auch voller überraschender Geschichten. Es ist ein Ort, der mich zum Nachdenken bringt – über Grenzen, über Freundschaft und darüber, wie nah manchmal Gesetz und Alltag beieinander lagen. Und wer weiß, vielleicht hört man bei einer Wanderung durch das Tal noch heute das leise Bimmeln eines verlorenen Glöckchens im Wind.