Aaahh, aaahh, ah, ah, ah, aah … brüllt es über die Dreiborner Hochfläche. Der Brunftschrei eines Hirschs. Im Moment machen sie sich noch rar. Ab Anfang Oktober aber ist es vorbei mit der Ruhe. Dann gibt’s für das Rotwild im Urfttal kein Halten mehr, selbst tagsüber sind die Hirschrufe weithin zu hören. Ein einmaliges Erlebnis, da „wackelt hier der Wald“, sagt der Ranger, der das Röhren der Hirsche ziemlich gut imitieren kann.
Und das klingt dann so:
Zusammen mit Ranger Ralf Hilgers und Dackeldame Molly bin ich an einem warmen Spätsommertag im Eifel Nationalpark unterwegs. Es weht kein Lüftchen, der Himmel ist wolkenlos, die Sonne gibt noch mal alles. Buchfink und Zilpzalp zwitschern um die Wette.
Im Herbst wackelt hier der Wald.
Die Dreiborner Hochfläche im Eifel Nationalpark ist weit und offen, die Szenerie erinnert ein bisschen an eine Savanne im afrikanischen Busch. Nur dass statt Akazien eher Weißdorn und Ginsterbüsche ins Auge fallen. Letztere verwandeln die Landschaft im Mai in ein riesiges gelbes Blütenmeer.
Die rund 1000 Hirsche, die derzeit im Nationalpark leben, fühlen sich in dieser Umgebung besonders wohl. Und wissen wohl auch, dass sie auf der Hochfläche keinen Jäger fürchten müssen. Gejagt wird trotzdem im Nationalpark. Nicht aus wirtschaftlichem Interesse, sondern dann, wenn der Wildbestand zu hoch und gefährlich für die Buchen ist, deren junge Triebe den Huftieren besonders gut schmecken. Bis Luchs oder Wolf dies auf natürliche Weise regulieren, wird es wohl noch eine Weile dauern, zu selten bis gar nicht lassen sich die beiden Raubtiere in der Eifel sehen.
Motto im Nationalpark: Natur Natur sein lassen.
Drei Viertel der Fläche sollen sich selbst überlassen bleiben, so das Ziel. Derzeit sind es rund 60 Prozent. Besonders stolz ist man im Eifel Nationalpark auf die vielen Buchen. Um diese zu schützen, sollen in den nächsten 15 Jahren vor allem die Fichten weniger werden, erklärt der Ranger.
Wo heute wilde Tiere und Pflanzen den idealen Lebensraum finden, flogen bis zum Jahr 2006 Kugeln und Granaten durch die Luft. Das Gelände diente Jahrzehnte lang als Truppenübungsplatz. Mittlerweile hat sich die Natur das Terrain zurückerobert. Trotzdem ist es ratsam, auf den ausgezeichneten Wegen zu bleiben, denn der eine oder andere Blindgänger könnte sich durchaus noch irgendwo verstecken. Selbst das Wild scheint dies zu wittern und hält sich von bestimmten Stellen auf der Hochfläche fern.
Mitten im Eifel Nationalpark liegt Wollseifen. Ein Geisterdorf. Hier wohnt schon seit mehr als 70 Jahren niemand mehr. Groß war der Ort ohnehin nie, 550 Einwohner hatten sie zu besten Zeiten. Im alten Schulhaus erzählt eine Ausstellung die 700-jährige Geschichte des Dorfes, die nach dem 2. Weltkrieg abrupt endete. Das Militär vertrieb die Leute und trainierte in den leeren Häusern für den kriegerischen Ernstfall.
Nur die Kapelle blieb unversehrt – und wirkt in der Landschaft wie ein Mahnmal. Unterm Dach haben sich vor Kurzem Wildbienen eingenistet.
Durch Wollseifen führt auch der Eifelsteig, auf dem wir zum Urftstausee wandern – und nicht die einzigen sind, die diese Idee hatten. Das sei durchaus gewollt, erklärt der Ranger, die Leute auf bestimmte Strecken zu „lenken“. Wer Ruhe sucht, findet diese auf weniger frequentierten Wegen im Nationalpark, die nicht beworben werden.
Oberhalb der Urfttalsperre kommen wir an einen Rastplatz mit Ausblick auf die Staumauer. Angler hätten ihre helle Freude an Hecht, Zander, Rotauge, Forellen und was sonst noch so schwimmt in den drei Seen, doch Fischen ist verboten. Baden sowieso. Man will beobachten, wie sich das Zusammenleben von Raub- und Friedfischen ohne menschliche Störenfriede entwickelt. Die dürfen deshalb ausschließlich mit Elektrobooten auf den Obersee, der im Volksmund Eifel-Amazonas genannt wird. Wegen der üppigen Vegetation am Ufer.
Im Stundentakt legen die Boote ab, die zwischen hier, Rursee und Einuhr pendeln. Zeit für eine Rast. Das Ausflugslokal auf der Staumauer ist das einzige weit und breit und an schönen Tagen wie diesem entsprechend gut besucht. Zu merken auch am Angebot, das massentauglich und ein wenig einfallslos ausgerichtet ist. Immerhin: Ich kann zwischen drei hausgemachten Suppen wählen und entscheide mich für die mit Kartoffeln. Die Linsen schmecken auch gut, weiß der Ranger.
Fast lautlos (außer wenn man wie wir direkt auf dem Motor hockt) gleitet das Boot auf dem Wasser. Die Waldhänge spiegeln sich im Wasser und scheinen darin zu versinken. Es fühlt sich nach Weite und Wildnis an. Die 30 Minuten bis Rursee vergehen viel zu schnell.
Von Rursee könnten wir in zweieinhalb Stunden im großen Bogen zu unserem Ausgangspunkt Parkplatz Vogelsang zurück wandern. Oder ein Taxi rufen.
Infos & Adressen:
Anfahrt: Einige Parkplätze gibt es außerhalb der Schranke zum Nationalpark, weitere (kostenpflichtige) Möglichkeiten beim Besucherzentrum (Navigation: Vogelsang IP), www.vogelsang-ip.de
Führungen: Ranger Ralf Hilgers, Kontakt unter www.nationalpark-eifel.de
Einkehren: Ausflugslokal Urftseemauer, Urfttalsperre 1, 53937 Schleiden, www.urftseemauer.de
Weiterlesen:
Buchtipp: In „Die schönsten Wildtierbeobachtungen in Nordrhein-Westfalen“ stellt Autorin Antje Zimmermann ganz besondere Ausflugsideen vor, bei denen man wild lebende Tiere beobachten kann. Beispielsweise beim Besuch einer Flamingokolonie oder beim Hengstfang im Merfelder Bruch.
Meine Reise wurde unterstützt durch das Projekt #rauszeitlust des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen.
6 Kommentare
Liebe Sabine,
ich habe mir das Audio angehört. Wenn ich eine Hirschkuh wäre, dann wäre ich bei diesem Brunftschrei nicht besonders beeindruckt. Ich glaube der Ranger muss noch ein bißchen mehr üben. Lustig fand ich es trotzdem. Hirsche sind Waldschädlinge. Dies konnte ich ist überall bei meinen vielen Touren durch Natur- und Nationalparke erfahren. Sie fressen junge Bäume. Besonders gern mögen sie Laubhölzer und die Weißtanne. Wegen diesem Selektionsdruck fehlt die natürliche Verjüngung der Wälder. Ihnen fehlt einfach eine Waldgeneration dazwischen.
Hallo Andreas,
ich bin zwar nicht Sabine, aber danke dennoch für deine Gedanken. Stimmt, das klingt etwas schräg. Fand es aber ganz witzig, dass uns der Ranger das mal demonstriert hat, denn leider haben wir tagsüber keine Hirsche gesehen.
Und ja, sie fressen besonders gern die jungen Buchen, das ist auch in der Eifel ein Problem – und deshalb wird auch gejagt. Auch wenn sie hoffen, dass das irgendwann mal der Luchs oder der Wolf übernimmt.
Die Hirschschreie klingen seltsam. Bisher habe ich die noch nicht gehört. Interessant!
Ich leider auch nicht, aber so ähnlich wird es wohl klingen. Und das bis zu 500 Mal pro Stunde. Die Anwohner sind schon manchmal genervt und schließen die Fenster nachts.
Toll, wenn der Wald wackelt! Es ist sicherlich ein tolles Erlebnis, die Hirsche einmal live zu sehen!
Glaub ich auch, dass es beeindruckend ist, wenn zwei-, dreihundert Hirsche auf der Hochfläche erscheinen und röhren.