Wo fängt man an in einer Stadt, deren alter Kern zum Unesco-Weltkulturerbe gekrönt wurde und deren angebliche Langsamkeit von anderen Schweizern belächelt wird. Einer Hauptstadt, die brav wirkt, nur weil ihre coole Seite nicht jeder kennt.
Am besten in einem der Quartiere.
In der Länggasse mit dem studentischen Flair und einer kreativen Szene, die Zürich in nichts nachsteht. Mit der Tram bin ich vom Hauptbahnhof aus in knapp zehn Minuten mittendrin.
Morgens um zehn ist es in den Straßen recht ruhig, also lass ich den Tag auch ein bisschen langsamer angehen, im Bagels-Café Tingel Kringel mit einem Espresso Macchiato. Die Gelateria di Berna schräg gegenüber, wegen deren Kult-Eis ich gekommen bin, öffnet erst um zwölf. Hab’s schon geahnt, als ich in die Mittelstraße eingebogen bin: keine Schlange = kein Eis.
Bei Länggass-Tee haben sie schon geöffnet, ein familiengeführter Laden mit allerlei feinen Teesorten und freundlicher Bedienung. Mittlerweile in der vierten Generation.
Das Quartier aus dem 18. Jahrhundert hatte seinen ersten Aufschwung als sich die ersten Fabriken ansiedelten, darunter Tobler, die Erfinder der Toblerone. Heute befindet sich die Universität in der Länggass. Anstelle qualmender Schornsteine der Industrie prägen hübsch restaurierte Häuser und gemütliche Quartierbeizen das Viertel wie das Beaulieu aus dem Jahre 1895 mit den alten Kastanien im Garten oder das Bierhübeli, ein ehrwürdiges Konzertlokal.
Dann gibt’s da noch das A-Quartier. A wie Arme, Arbeitslose, Ausländer und Alternative, die in der Lorraine lebten. Seit ein paar Jahren gilt das Quartier als eines der trendigsten der Stadt. Gelungen ist dieser Wandel vor allem, weil die Alteingesessenen nicht völlig verdrängt wurden, sondern als bunter Mix eher beleben. Das alternative Café Kairo oder das Bücher-Café Wartsaal sind beliebte Treffpunkte in der Lorraine.
Nördlich der Altstadt liegt der Breitsch, das Breitenrainquartier. Ein Hotspot: die Barbière mit hauseigener Brauerei am Breitenrainplatz. Sechs Freunde haben sich zusammengetan und kreieren trendiges Craft-Bier. Im Lokal in der Militärstraße kommt neben heimischen Bier nur Fleisch und Gemüse vom regionalen Bauernhof auf den Tisch. Übrigens: Der Breitsch zählt zusammen 14 Gault-Millau Punkte.
Den kürzesten Smalltalk der Stadt führt der Chauffeur der „Senkeltram“. Nur 30 Sekunden braucht der historische Lift, der die Oberstadt mit dem Mattequartier verbindet. Die Metallkonstruktion hat Alexandre Gustave Eiffel vor 115 Jahren konstruiert. Das Mattenquartier war früher nicht nur höhen-, sondern auch standesmäßig von der übrigen Stadt getrennt. Oben vornehmes Bürgertum, unten an der Aare das Fuß-Volk. Heute säumen Ateliers und kleine Läden das lauschige Ufer. Nur eins ist nicht ganz verschwunden: der seltsame Dialekt der Bewohner, das Mattenenglisch. Die Geheimsprache brachten die Berner Flösser irgendwann aus Hamburg mit, um sich unterhalten zu können, ohne das es die anderen Berner verstehen, was ganz praktisch war bei Preisverhandlungen.
Am Stammtisch im Restaurant «Zum Mühlirad» sprechen sie es manchmal heute noch.
Inzwischen bin ich in der Altstadt angekommen. Das Zentrum von Bern liegt auf einem Hügel, wie eine Insel in der Aare-Schleife zwischen Nydegg-Brücke und Bubenbergplatz.
Prominentestes Bauwerk ist die Zytglogge (Zeitglockenturm), die der Nürnberger Waffenschmied Kaspar Brunner 1530 gebaut hat. Ein Wunderwerk mittelalterlicher Uhrmacherkunst mit astronomischer Kalenderuhr und Spielwerk. Immer zur vollen Stunde drehen die Bären ihre Runde, begleitet von Hahn und Harlekin. Wer sich für die Technik im Innern interessiert, kann im Sommer an einer Führung teilnehmen. Treffpunkt am Turm, täglich um 14.30 Uhr.
Ein paar Schritte weiter in der Kramgasse offeriert ein Lokal im Erdgeschoss des ehemaligen Wohnhauses von Albert Einstein den relativ besten Kaffee der Stadt. Die Straße ist auffallend breit für die mittelalterliche Bauweise. Das hat zwei Gründe: Es fehlte ein Marktplatz, da die Aare die Altstadt auf drei Seiten begrenzt. Also baute man breiter und handelte in der Kramgasse. Der große Abstand verhinderte gleichzeitig das Ausbreiten eines Feuers bei einem Stadtbrand auf die gegenüberliegende Seite. Eine Gefahr, die durch die Holzhäuser früher recht hoch war.
Ich spaziere noch ein wenig durch die Arkaden, insgesamt sechs Kilometer lang ziehen sich diese durch Bern. Sehr angenehm ist es dort zu bummeln bei Hitze oder bei Regen. Viele kleine Läden, Bars und Galerien sind unterirdisch, nur über eine steile Treppe zu erreichen. Ich bewundere die Kellner, die oft mehr als 20 Stufen vom Souterrain bis ans Licht volle Tabletts balancieren. Wenn die letzten Gäste gegangen sind, werden die Kellerlokale einfach zugeklappt.
Jetzt noch ein Absacker im Kornhauskeller. Weil man nicht wegfahren darf aus Bern, ohne das prunkvolle Gewölbe gesehen zu haben.
Länggass
Tingel Kringel, Mittelstraße 12, www.tingel-kringel.ch
Länggass-Tee, Länggassstraße 47, www.laenggasstee.ch
Gelateria di Berna, Mittelstraße 15, www.gelateriadiberna.ch
Bierhübeli, Neubrückstrasse 43, www.bierhuebeli.ch
Beaulieu, Erlachstrasse 3, www.restaurantbeaulieu.ch
Breitsch
Barbière, Breitenrainplatz 40, www.barbiere-bern.ch
Lokal, Militärstrasse 42, lokal-bern.ch
Lorraine
Café Kairo, Dammweg 43, www.cafe-kairo.ch
Café Wartsaal, Lorrainestrasse 15, wartsaal-kaffee.ch
Altstadt
Einstein, Kramgasse 49, einstein-kaffee.ch
Kornhauskeller, Kornhausplatz 18, http://www.bern.com
Die Reise wurde unterstützt von Bern Tourismus.
4 Kommentare
Schön, dass auch Blogger aus unserem Nachbarland nach Bern kommen.
Ich arbeite in Bern und geniesse täglich die Vorzüge der Stadt. Schön, hast du auch die Gelateria und das Teelädeli entdeckt 🙂
Aber Arme und Arbeitslose in der Lorraine? Hmm, warst du wohl in Bümpliz?
Ich war angenehm überrascht von Bern, hatte mir die Stadt ganz anders vorstellt. Ja, die Gelateria und das Teelädeli sind allein ein Grund, in das Quartier zu gehen. Ich war nur leider zu früh dran, es war noch geschlossen. Aber beim nächsten Mal weiß ich das dann 🙂