Märchenpaläste, Gassengewirr, Markttreiben, Gewürznelken – was auch immer einem zuerst einfällt zu Zanzibar, es trifft es nur eine winzige Facette. Die Insel im Indischen Ozean ist viel mehr. Ein Platz, an dem früher Hoffnungen starben, wo heute Träume sich erfüllen.
Und immer schon ein Sehnsuchtsort.
Die Geschichte hat sich gewandelt. Das Meer nicht. Es rauscht und glitzert, kommt und geht. An den feinen, weißen Stränden nimmt von der Schönheit kaum einer Notiz. Touristen ausgenommen. Die kommen gerade deswegen. Für die Algenbäuerinnen, die täglich in der Gezeitenzone ernten, ist der Ozean weniger paradiesisch, sondern eine Lebensgrundlage. Für die Insel ist die Rotalgenzucht die größte Hoffnung nach dem Tourismus.
Sehnsuchtsort: Zanzibar Beach. Ein tropisches Naturparadies. Schon beim Anflug mit der kleinen, viersitzigen Maschine fühlt es sich an, als landen wir in einer anderen Welt. Was auch so ist, irgendwie. Als wir in Stone Town aufsetzen, spazieren wir vom Flieger weg über das Rollfeld direkt ins Taxi. Retour dasselbe Spiel. Sicherheitskontrolle, Gepäckcheck? Das einzige Röntgengerät ist gerade kaputt, stattdessen vereinzelt unmotivierte Stichproben von Hand. Unsere Softpacks erinnern an Stretchfolienmumien, meterlang umwickelt, damit diese auch den Weiterflug von Dar es Salam nach München heil überstehen, werden durchgewunken. Zu viel Aufwand. Die nicht vorhandene Terrorismus-Hysterie wirkt seltsam beruhigend.
Unsere Unterkunft, das Tembo House Hotel, liegt direkt am Indischen Ozean und doch mitten im Zentrum von Stone Town – perfekt, um die Altstadt zu erkunden. Ein Haus mit Charme im traditionellen Stil der Insel, geschmackvoll mit antiken Möbeln dekoriert. Vom Bahari Terrassen-Restaurant haben wir den besten Blick auf den Ozean und die bunten Boote der Fischer.
Wir bummeln ein bisschen durch die Gassen, verlieren uns in deren Labyrinth. Auf Schritt und Tritt Einen im Schlepptau, der sich als Guide andienen will.
Das Flair der letzten Jahrhunderte hängt in der Stadt, die schon bessere Tage gesehen hat. Es fehlt an Geld, die prunkvollen Häuser zu renovieren.
Zufällig kommen wir an einem Gebäude vorbei, vor dem sich auffällig viele Menschen drängeln. Freddy Mercury, der einstige Frontmann von Queen, wurde auf Zanzibar geboren. Das Haus in der Altstadt, laut Reiseführer eines der Must-See-Attraktionen, ist völlig unspektakulär. In den oberen Etagen gibt es ein paar Appartements. Wer seinem Idol weniger kostspielig nahe sein will, stöbert im Souvenirladen im Erdgeschoss.
Wir suchen dagegen das Emerson Spice Rooftop Tea House und laufen gefühlt seit Stunden im Kreis. Ein Halbwüchisger zeigt uns für ein paar Schillinge den Weg aus dem Irrgarten. Nach dem Sultan’s Palace ist das Emerson Spice das zweithöchste Gebäude von Stone Town – und wir haben es nicht gefunden. Die Dachterrasse des luxuriösen Hotels Hurumzi (danach hätten wir fragen müssen) ist der beste Platz für einen Sundowner.
Auf dem traditionellen Central Market gibt es täglich frischen Fisch, Fleisch, Früchte und Gewürze; nebenan auf dem Stoffmarkt typisch arabische Stoffe. Oder ein Glas frisch gepressten Zuckerrohrsaft gegen den Durst. Viel Gefeilsche, kaum Hektik. Nirgends kann man den Alltag der Menschen besser erleben als auf dem Marktplatz.
Nach Sonnenuntergang schlendern wir zur abendlichen Flaniermeile von Stone Town, den Forodhani Gardens. Gar- und Grillküchen werden in Position gebracht und Holzkohlefeuer entfacht. Wir probieren uns durch die Stände mit Tintenfisch-Spießen, Chapatis und Samosas – schauen, drauf zeigen und genießen. Streetfood, wie es uns gefällt.
Darf nicht fehlen auf Zanzibar: der Ausflug zur Gewürzplantage. Es war 1818 als Said bin Sultan die Gewürznelke auf der Insel einführte. Die fruchtbaren Böden an der Westküste bieten ideale Bedingungen für den Gewürzanbau, der im 19. Jahrhundert boomte und Zanzibar zur Drehscheibe für den Handel mit Kokusnüssen, Elfenbein und Sklaven wurde.
Der Gewürzhandel spielt wirtschaftlich keine Rolle mehr, Haupteinnahmequelle Nummer Eins der Farmer sind mittlerweile Touristen, die sich auf ihren Plantagen zeigen lassen, wie Vanille, Nelken, Kakao oder Muskat wachsen.
Nach zwei Tagen haben wir alles gesehen in Stone Town und ziehen weiter an die Ostküste. Weiter im Süden gibt es keinen touristischen Rummel. Dafür blendend weißen Sand mit einem vorgelagertem Korallenriff, eine Art Lagune. Eine einfache Hütte am Strand haben wir gemietet. Sehr einfach. Das wäre nicht weiter schlimm, nur der Bungalow am Strand erweist sich als Schuppen mit Mundgeruch. Mehr Attrappe als Schutz: das Vorhängeschloss samt Tür, die nur noch in einer Angel baumelt.
Okay, dann eben jetzt Robinson Crusoe. Und: Der Meerblick ist ohnehin nicht zu toppen. Schnorcheln, lesen, in der Hängematte dösen, am Strand spazieren, herrlich.
Nur auf Selbstversorgung sind wir nicht eingestellt, haben weder Fahrrad noch Auto, und keine Ahnung, wo die nächste Versorgungsstation auf der Insel ist. Strom lässt sich sowieso nur stundenweise blicken und – wir sind im Hotel – das Personal ist zwar anwesend, zuckt aber müde mit den Schultern bei Anfragen aller Art. Super Reisevorbereitung, Antje.
Und eine erste Erkenntnis: Wir sind sehr verwöhnt von unserem komfortablen Leben daheim.
Eigentlich wollten wir eine Woche bleiben in unserer einsamen Strandhütte. Nach fünf Tagen ziehen wir weiter in die Kichanga Lodge. Entlang der nördlichen Ostküste liegen Hotels und Gästehäuser wie auf einer Perlenkette aufgefädelt am Meer. Die Kichanga Lodge im Südosten hat sich einen angenehm natürlichen Charme bewahrt, alles wirkt echt, nichts anbiedernd. Fast noch ein Insidertipp.
Mit unserem Aufenthalt in der Lodge tun wir auch ein klein wenig Gutes. Mit einem Teil der Erlöse unterstützen die Eigentümer die Schule im Ort. Alles wird gebraucht, vom Computer bis zu Heften und Stiften ist jede Spende willkommen und doch nur ein Tropfen im Meer. Etwa 30 Kinder sind in einer Klasse. Oft kommen nur die Hälfte, zeigt die Tafel, auf der täglich die Anwesenheit protokolliert wird. Wenn überhaupt. Sie würden zu Hause bei der Feldarbeit gebraucht, behaupten die Eltern. Die Lehrer müssen jedes Mal wieder von vorn anfangen, sie vom Sinn einer Schulbildung zu überzeugen. Und das das der einzig richtige Weg ist in ein besseres Leben. Frei von Armut und Abhängigkeit.
Es dauert nicht lang, bis wir in einen Rhythmus kommen, der sich der Insel im Ganzen und unserem kleinen Reich am Strand anpasst. Aufs Meer schauen und träumen … ja wovon eigentlich? Wir sind doch schon da, wo die Sehnsucht wohnt.